Wow! So muss sich der arme Holzfäller Ali Baba gefühlt haben, als er, verborgen auf einem Baum, Zeuge wurde, wie die Räuber den Berg, in dem sie ihre Schätze versteckt hielten, mit einem Zauberwort dazu brachten sich zu öffnen. Mehr als einen Kilometer sind wir durch den am frühen Morgen noch ziemlich stillen Siq bereits gelaufen, den einzigen direkten Zugang zu der antiken Felsenstadt Petra auf halbem Weg zwischen dem Toten Meer und dem Golf von Aqaba. Zu beiden Seiten der schmalen Schlucht ragen mächtige Felswände fast senkrecht empor, 70, 80, an einigen Stellen bis zu 100 Meter hoch.
An der engsten Stelle meint man, den rötlichen Sandstein links und rechts gleichzeitig berühren zu können. Der Siq ist hier kaum mehr als zwei Meter breit, an der weitesten Stelle sind es gerade einmal 16 Meter. Noch ein paar Windungen, und plötzlich öffnet sich die Schlucht und gibt die Sicht frei auf eine direkt in den Fels geschlagene rosarote Fassade: Al-Khazneh, das „Schatzhaus“ der einstigen Hauptstadt der Nabatäer! Unwillkürlich schließe ich die Augen. Als ich sie wieder öffne, ist der Schatz immer noch da.
Kinofreunden wird der Anblick womöglich bekannt vorkommen: In der Schlussszene des Films „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ wird der Siq von Petra zur geheimnisvollen „Schlucht des sichelförmigen Mondes“, und das Schatzhaus weist den Weg in die Welt des heiligen Grals. Seinen Namen erhielt das gut 40 Meter hohe und fast 30 Meter breite Bauwerk von Beduinen, die glaubten, den Schatz eines Pharao vor sich zu haben. Tatsächlich wurde es als Grabmal eines nabatäischen Königs errichtet und später wohl auch als Tempel genutzt.
Vom Schatzhaus führt der Weg weiter und immer weiter durch die Felsenstadt, die so alt ist wie unsere Zeitrechnung: vorbei an prachtvollen Fassaden von Grabkammern nabatäischer Könige und Edelleute zu einem Theater, das 7.000 Zuschauern Platz bot, von dort entlang einer Säulenstraße mit umfangreichen Resten antiker Tempel, mit Souvenirläden und Teestuben bis in das ehemalige Stadtzentrum von Petra.
Wir befinden uns inzwischen auf einem weitläufigen Plateau, umgeben von grandiosen Felsformationen, auf denen weitere Sehenswürdigkeiten locken. Ad-Deir zum Beispiel, das „Kloster“, ebenfalls ein Grabmal oder Tempel – schlichter als das Schatzhaus, aber (oder vielleicht auch gerade deswegen) nicht weniger schön. Oder der Große Opferplatz, an dem religiöse Zeremonien zu Ehren nabatäischer Gottheiten abgehalten wurden. Von dort oben eröffnen sich weite Blicke auf das UNESCO-Weltkulturerbe, das seit ein paar Jahren außerdem zu den Neuen Sieben Weltwundern zählt, in einer Reihe mit dem Kolosseum in Rom, Chichen Itza in Mexiko, der Chinesischen Mauer, der Christusstatue in Rio, Machu Picchu in Peru und dem Taj Mahal in Agra.
Doch vor den Ausblick haben die Götter den Schweiß gesetzt. Hunderte von in den Fels geschlagenen Stufen wollen bewältigt werden, zu Fuß oder auf dem Rücken eines Esels. Ein Vergnügen, das ich mir als begeisterte Reiterin nicht entgehen lassen kann: Nach vorne beugen, und ab geht die Post! Für Tempo sorgt von hinten der Eseltreiber. Okay, ich gebe zu, ich habe gelegentlich ein wenig in den Abgrund geschaut – das muntere Tier hatte sehr viel Freude am Überholen, und großartig lenken ließ es sich mangels Zügeln auch nicht -, aber alles in allem sieht so ein Eselritt auf nacktem Stein den Berg hinauf vermutlich abenteuerlicher aus, als er sich anfühlt.
Drei Tage Laufen, Laufen, Laufen in Petra, um Petra und um Petra herum. Ich kann mich kaum satt sehen am Farbenreichtum des Sandsteins und an der Architektur der Felsen. Die durch tektonische Verschiebungen und gelegentliche Hochwasser im Siq entstandene beeindruckt mich nicht weniger als die von den nabatäischen Steinmetzen geschaffene.
Gleichzeitig versuche ich, mir das Leben in der Felsenstadt vor 2.000 Jahren vorzustellen. Damals kontrollierten die Nabatäer, eigentlich ein Nomadenvolk von der Arabischen Halbinsel, von Petra aus den gesamten Karawanenhandel zwischen Damaskus und dem heutigen Medina. Die Stadt lag strategisch günstig am Knotenpunkt mehrerer Handelswege, auf denen Weihrauch, Gewürze und Seide transportiert wurden. Inmitten von Felsgebirgen war sie von außen praktisch uneinnehmbar. Und – unbezahlbar in der Region – sie verfügte über eine eigene Quelle. Brauch- und Trinkwasser leiteten die Nabatäer über eine in die Felswand des Siq gehauene Wasserleitung in die Stadt.
Fels und Wasser so nah beieinander? Das konnte nur eines bedeuten: Petra musste der Ort gewesen sein, an dem Moses beim Auszug des Volkes Israel aus Ägypten mit dem Schlag seines Stabes eine Quelle aus dem Stein hatte sprudeln lassen. Der Legende folgt auch der heutige Name Wadi Musa, Mosestal.
Rund 100 Jahre nach Christus ging das Reich der Nabatäer in der römischen Provinz Arabia auf. Gerasa, das heutige Jerash nördlich von Amman, lief Petra mehr und mehr den Rang ab. Keine Sorge: Ich mache an dieser Stelle nicht auch noch das Fass der großartigen Relikte aus der Römerzeit auf jordanischem Boden auf! Mir schwirrt selbst der Kopf von so viel Historie auf engstem Raum. Und dazu noch all die biblischen Bezüge… Jedenfalls: Nach Petra krähte ein paar hundert Jahre später kein Hahn mehr – bis Anfang des 19. Jahrhunderts ein Schweizer, angeblich als Scheich verkleidet, die geheimnisvolle Stätte „wiederentdeckte“. Beduinen nutzten die kühlen, schattenspendenden Grabbauten inzwischen als Wohnungen. In den 60er, 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden sie umgesiedelt, um die Felsenstadt besser für den Tourismus nutzen zu können. Irgendwie schade. Heute wohnen die Beduinen in den umliegenden Dörfern, vor allem in Wadi Musa. Ein Großteil von ihnen lebt vom Petra-Tourismus.
Einige der ehemaligen Felswohnungen sind jetzt Souvenirläden. In einer anderen verbringen wir unseren Picknick-Stopp. Mein Fotoapparat stellt automatisch scharf auf das Porträt von König Abdullah II an der Wand. Gegenüber hängt das Bild seines 1999 verstorbenen Vaters, König Hussein, der bis heute hohes Ansehen im Land genießt. Könige unter sich.
Liebe Maren,
Wahnsinn! EIn toller Bericht und wunderbare Fotos. So schön erzählt – der Eselsritt, die Königs unter sich. Ich möchte am liebsten SOFORT meinen Rucksack packen…
Liebe Birgit, „Scheherazade“ dankt! Wenn die Zuhörer (Leser) so mitgehen, nimmt die Erzählung Fahrt auf. Was das Rucksack-Packen angeht, rate ich unbedingt zu, besonders nach unserem kurzen Austausch über Fragen und Antworten und die Entdeckung der Langsamkeit neulich auf deinem Blog. Mich entschleunigt Reisen sehr, und Antworten stellen sich unterwegs manchmal ganz von selbst ein. Schönes Wochenende!
Ich kann mich Birgit nur anschließen: Toller Bericht, wunderschöne Fotos, seeehr faszinierend!
Vielen Dank, liebe Petra! Zu dir muss der Ort ja in besonderer Weise sprechen… Petra, der griechische Fels… Liebe Grüße!
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Maren, ich bin beeindruckt, von Deinem Bericht, der Landschaft – und vor allem von den Menschen, die Du fotografiert hast…
Das freut mich, Andrea! Schönen Sonntag!
Immer wieder beeindruckend diese Stadt. Tolle Bilder, danke für`s zeigen……
Ja, dem Zauber Petras kann man sich nicht verschließen. Danke für die Anerkennung!
Schön, ein wenig Jordanien nach hier zu holen! Dank deiner schönen Erzählungen und den beeindruckenden Bildern können wir daran teilnehmen, klasse!
Sehr gern – und danke für deine Zeilen!
Sehr schöne Bilder! Besonders dein mit dem Esel :)… Willkommen in Jordanien 🙂
Hallo „Mann aus Moab“, vielen Dank für deine Zeilen und das Willkommen! Leider bin ich schon wieder zurück in Deutschland. Ich freue mich schon darauf, demnächst ausführlicher auf deinem interessanten Blog zu stöbern!
Kein Problem… Sie haben ein schönes Bog 🙂 Viel Erfolg!
Mann aus Moab… Ja… Das ist ich! Danke für die Übersetzung!
Wenn ich diese tollen Bilder sehe und den Bericht lese, muss ich wohl doch nach Israel auch noch nach Jordanien!! Einfach wunderschön, diese Ecke der Welt!
Ja, wahrscheinlich! Und ich muss, nachdem ich mir gerade die vielen schönen Israel-Bilder auf deinem Blog angesehen habe, unbedingt auf die andere Seite der Grenze. Danke für deine Zeilen und einen lieben Gruß!
Das lohnt sich auf alle Fälle! Ich möchte auch gerne nochmal hin – und dann werde ich gleich noch Jordanien mitnehmen! Dir auch einen lieben Gruß und schönes Verarbeiten der Eindrücke!