Wie es sich anfühlt, auf einem viele Millionen Jahre alten Baumstamm zu sitzen und geradeaus zu schauen? Ziemlich gut! Nicht dass ich mir auch nur ein einziges Jahrtausend auch nur annähernd vorstellen könnte, aber dieses entspannte Gefühl eigener Bedeutungslosigkeit, gepaart mit so etwas wie Eingebundensein in einen größeren Kontext von Raum und Zeit, das mich im Angesicht alles „Ewigen“ zuverlässig befällt, stellte sich für einen Moment auch bei unserem Besuch im Versteinerten Wald in der Nähe der Stadt Khorixas ein.
Mehr als 50 fossile Stämme sind dort zu bestaunen, die vor sagenhaften 250 Millionen Jahren von einer gewaltigen Flut entwurzelt und dorthin gespült worden sein sollen. Sand und Schlamm schlossen die Bäume luftdicht ab, so dass sie nicht vermodern konnten, eindringendes kieselsäurehaltiges Wasser ließ sie versteinern. Die darüberliegenden Gesteinsmassen wurden durch Erosion im Laufe von Jahrmillionen abgetragen, bis die Stämme wieder sichtbar wurden: fürs Auge auch heute noch eindeutig Holz (einmal sehen können, was sie einst sahen!), für die prüfende Hand – hart wie Granit.
Noch ganz jung sind im Vergleich dazu die Felsbilder von Twyfelfontein weiter südlich, aber absolut betrachtet ebenfalls unfassbar alt. Die ältesten sollen vor 6000 Jahren entstanden sein. Ganz überwiegend handelt es sich um Gravuren, die mit harten Quarzsteinen mehrere Millimeter tief in die weicheren Sandsteinplatten geritzt wurden: Giraffen, Strauße, Zebras, Antilopen, Nashörner, Elefanten und andere Tiere der Savanne. Aber auch Gestalten mit Pfeil und Bogen und menschliche Fußabdrücke sind zu sehen.
Was wohl der lange, hoch aufgerichtete Schwanz des Löwen zu bedeuten hat?
Geschaffen wurden die Bilder vermutlich von den Ureinwohnern des heutigen Namibia: Buschleuten (San) und Damara, die in dem Gebiet auf Jagd gingen. Eine Quelle, die im 20. Jahrhundert nur noch spärlich sprudelte – das trug ihr den Namen „Twyfelfontein“ (Zweifelsquelle) ein –, zog in alten Zeiten viel Wild an. Auf einer geschützten Steinterrasse vielleicht 50 Meter weiter oben ließ es sich gut auf Beute warten. Und Gravuren erstellen, ob nun zur Beschwörung des Jagdglücks oder einfach, um die Wartezeit zu verkürzen.
Im Brandbergmassiv, wo wir anderntags eine kleine Wanderung unternahmen, sind noch zehntausende Felsbilder erhalten, die meisten in mehr oder weniger unzugänglichem Gelände. Auch sie werden den San zugeschrieben. Wir besuchten die berühmte White Lady, die in Wahrheit allerdings wohl einen Krieger, vielleicht auch einen Schamanen darstellt. Die „Lady“ hat keinen Busen, dafür aber Pfeil und Bogen, Kopf und Oberkörper sind mit Schmuck behängt. Ihr Alter wird auf 2000 bis 4000 Jahre geschätzt.
Die Figur ist Teil einer Jagdszene mit vielen weiteren kunst- und liebevoll ausgearbeiteten Menschen und Tieren und, obwohl nur noch schwach zu erkennen, von berührender Anmut. Einen schönen Platz hat sie obendrein: verborgen in einer Felsspalte, hinter der sich weit der Blick auf den Königstein öffnet, mit 2573 Metern über dem Meeresspiegel die höchste Erhebung des Landes.
Und während uns unser Guide auf Brandberg-Akazien, Shepherd’s Trees und allerlei Eidechsen aufmerksam macht, träume ich davon, den geröllig-felsigen Weg durch die Tsisab-Schlucht einfach immer weiter zu gehen.
Drei Tage dauert die geführte Tour auf die Höhen des Granitmassivs, das die umliegende Wüste um beinahe 2000 Meter überragt. Zwei Tage rauf und einen wieder runter. Durch unwegsames Gelände und mit viel Wasser auf dem Rücken – der Brandberg macht seinem Namen selbst im Südwinter alle Ehre – und einem guten Schlafsack für die kühlen Nächte.
Von da oben, stelle ich mir vor, muss die Weite noch weiter, noch grenzenloser sein.
Was für eine schöne Formulierung: „…dieses entspannte Gefühl eigener Bedeutungslosigkeit“
Danke!
Sehr interessante Fotos von deiner Begegnung mit der seit vielen Millionen bzw. Hunderttausenden von Jahren sich laufend entwickelnden Geschichte der Erde und des Menschen. Da fühlt man sich unwichtig und die eigenen Probleme werden unbedeutend.
Ja, es tut gut, von Zeit zu Zeit die Relationen zurechtzurücken. Dann lassen sich auch die eigenen Themen mit neuer Kraft und Perspektive anpacken, finde ich. Freut mich, dass dir die Fotos gefallen.
So wunderschöne Gesteinsfarben … Die Felsritzungen sind auch fantastisch. Ich habe gelesen, dass es davon in der Gegend sehr viele gibt. Sicher eine großartige Reise !!
Allein im Brandbergmassiv sind bis heute 50.000 Felsbilder entdeckt worden, überwiegend Malereien. Auf unseren Wanderungen sind uns auch andernorts immer wieder Zeichnungen von Tieren und menschlichen Gestalten mit Speeren und Pfeil und Bogen begegnet. Eine meiner Reisegefährtinnen war davon so begeistert, dass sie selbst angefangen hat, Giraffen und Elefanten in Steinscherben zu ritzen und am Fuß einzeln stehender Köcherbäume und anderen markanten Stellen abzulegen.
Vielen Dank für’s Teilen deiner Eindrücke. Wunderschöne Bilder, die erahnen lassen, dass diese Landschaft einen im Innersten zu erreichen vermag. Afrika ist die Wiege der Menschheit, wir sind die kleinen, weißen Krötenkinder der schönen, schwarzen Seele. Gibt es dort in Namibia auch ein Instrument, das die Geräusche der Natur imitiert, so wie das Didgeridoo in Australien?
Ein speziell mit Namibia verbundenes Musikinstrument ist mir bisher nicht begegnet. Während ich die Kommentare beantworte, läuft im Hintergrund eine CD mit Stücken auf der Marimba, die ich mir von der Reise mitgebracht habe. Ja, dieses Xylophon transportiert tatsächlich ein bisschen von dem, was ich unterwegs gespürt habe. Die oft unglaubliche Stille, die einen dort umgibt, eignet sich für eine musikalische Umsetzung ja nur begrenzt. 😉
Es sieht flirrend heiß aus. Vielleicht war es vor 6000 Jahren fruchtbar.
Ich verrate dir ein Geheimnis: Es sieht nicht nur so aus… Dafür kühlt es nachts ordentlich ab.
Die geritzten Bilder machen mir eine Gänsehaut, wenn ich daran denke wie alt sie sind… Sie sehen auf Deinen Fotos sehr ungeschützt aus – wie lange werden sie noch halten??
Die Gravuren in Twyfelfontein sind natürlich nicht alle 6000 Jahre alt. Insgesamt sollen sie, wenn ich das richtig erinnere, in sechs verschiedenen Zeitphasen entstanden sein. Aber dein Hinweis ist mehr als berechtigt. Das eine ist „der Zahn der Zeit“, der unaufhaltsam nagt. Das andere die menschliche Ignoranz: Im Brandbergmassiv z.B. befinden sich zwar die meisten Felsbilder an ziemlich unzugänglichen Stellen, aber ausgerechnet die White Lady ist auch ohne alpinen Basiskurs zu erreichen. In der Vergangenheit kam es immer wieder vor, dass Besucher die filigrane, blass gewordene Zeichnung mit Wasser und anderen Flüssigkeiten übergossen haben, um ihre Konturen fürs Foto besser hervorzuheben. Zum Glück lassen sich Eingänge zu Schluchten gut kontrollieren: Inzwischen ist der Aufstieg zur White Lady (wie auch der Besuch anderer historischer Stätten) nur noch mit örtlichen Führern möglich.
Ein wenig Schutz… zu wenig vermutlich… und immer wieder die Frage, ob Tourismus sich nicht selbst ad absurdum führt, wenn dabei die Sachen zerstört werden. Andererseits bin ich selbst zu neugierig, um das Reisen zu lassen, allerdings kompensiere ich jeden Flug, den ich mache, durch eine Spende bei atmosfair. Reichen tut dies sicher trotzdem nicht, um die Welt zu erhalten…
Die Felszeichnungen und das versteinerte Holz sind faszinierend. Tolle Eindrücke!
Danke schön!
Wunderschön…
🙂
ich staune so gerne und wie ich über diese versteinerten Bäume staune und diese wunderbaren Felszeichnungen, aber immer staune ich über die Menschen und ihr Tun schon vor Tausenden von Jahren! Ich staune aber auch über deine feinen Formulierungen über die Zeit und die Ewigkeit und dieses Eingebundensein … hab Dank
Und ich freue mich, dass du mitstaunst. Wer sagte noch gleich: Geteiltes Staunen ist doppeltes Staunen?
Ein kleiner Hauch von Ewigkeit, die sich in Natur und Menschenkunst entschleiert. Ich genieße deine Eindrücke und hoffe auf mehr von ihnen.
Liebe Grüße
Achim
Das freut mich sehr, Achim. Der ein oder andere weitere Schnipsel aus Namibia sei hiermit versprochen. Liebe Grüße!
Liebe Maren,
dort zu wandern und vor allem zu Sein muss eine tolle Erfahrung sein. Sozusagen die Relativierung des Selbst durch die Wahrnehmung ungeheurer zeitlicher und räumlicher Weite.
Wunderbarer Text mit beeindruckenden Bildern. Da reise ich gerne mit…
Liebe Grüße
Kai
Das hast du wunderbar ausgedrückt, lieber Kai: „die Relativierung des Selbst durch die Wahrnehmung ungeheurer zeitlicher und räumlicher Weite“. Genau so ist es. Danke für deine Zeilen. Schön, dass du mitreist. Und: Liebe Grüße!
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