Teil zwei des Trekkings im nordäthiopischen Simien-Gebirge,
in dem wir den Wolken mit jedem Schritt näher kommen
Wer früh schlafen geht, wird zeitig wach. Als ich das erste Mal die Nase aus dem Zelt stecke, ruht die Sonne noch hinter den Bergen. Die Bodentemperaturen dürften nicht wesentlich über dem Gefrierpunkt liegen. Raureif bedeckt das Gras auf der Hochebene, und der Schlafsack ist feucht, zum Glück nur von außen. Ein dienstbarer Geist hat eine kleine Schüssel warmen Wassers vor den Eingang gestellt. Ich kann mir nichts Schöneres denken – abgesehen von den leckeren Eierspeisen vielleicht, die der Koch gerade für uns brutzelt. Boiled, scrambled, fried, one side oder auch both, ganz wie es beliebt.
Bald schon machen wir uns auf den Weg zu den Klippen von Imet Gogo. Zum ersten Mal kratzen wir an der 4000-Meter-Grenze. Die Luft wird spürbar dünn, der Atem und die Beine schwer. Noch immer hängen Wolken und Nebel in den Schluchten. Aber wer wollte bestreiten, dass der Landschaft auch das geheimnisvoll Vage, leicht Melancholische gut zu Gesicht steht?
Kaum zurück im Camp, reicht die Zeit gerade noch für eine Katzenwäsche im eiskalten Jinbar River. Dann bricht auch schon heftiger Regen über uns herein. Ich verbringe Stunden lesend im Zelt. Draußen ist es so nass, dass man keinen Hund vor die Wellblechhütte jagen würde, in der der Koch wieder einmal Wunder vollbringt. Die Laune einiger meiner Reisegefährten befindet sich im freien Fall, die Guides inspizieren mit sorgenvoller Miene die Zelte.
Bevor die Bodenplanen ganz durchweicht sind, hat der äthiopische Regengott glücklicherweise ein Einsehen. Und so stimmungsvoll das leicht Dräuende ist: Klare oder doch beinahe klare Sicht mindert die Schönheit der Simien Mountains gewiss nicht, wie wir am nächsten Tag auf der Wanderung zum Chennek Camp feststellen, wo wir die beiden folgenden Nächte verbringen wollen.
Über endlose Grasebenen mit Riesenlobelien führt der Weg. Dazwischen Abschnitte mit Busch. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich Erika, die an Bäumen wächst. Lange Bartflechten zwischen den Zweigen künden von der Reinheit der Luft.
Vom Inatye mit seinen gut 4000 Metern öffnet sich der Blick über Anhöhen und Schluchten, die sich am Vortag noch ziemlich bedeckt hielten. Von einem vorgelagerten Hügel dringt leise Flötenmusik zu uns herauf. Spielen die Hirten für sich oder bringen sie uns Touristen ein Ständchen? Einen Teil meines Käsesandwichs verfüttere ich an die schwarzen Krähenvögel mit den imposanten Krummschnäbeln, die ähnlich zutraulich sind wie die Bergpapageien, die in den neuseeländischen Alpen jeden Gipfelstürmer persönlich begrüßen.
Aber nicht nur schwarze Vögel kreuzen unseren Weg, sondern auch Horden sandfarbener Affen. Von weitem wirken sie wie Steine auf einer Wiese: Dutzende, manchmal Hunderte von Dscheladas, die es nur im äthiopischen Hochland gibt, hocken im gelblichen Grün und stopfen inbrünstig ein Grasbüschel nach dem anderen in die nimmersatten Mäuler.
Die größeren Männchen tragen eine Löwenmähne, die kahle Brust ist leuchtend rot. Das soll den Weibchen Potenz signalisieren – zugegeben: rote Hinterteile wären bei dieser ausdauernd sitzenden Spezies wenig praktisch – und trug den Tieren auch den Namen „Blutbrustpaviane“ ein.
Nach mehreren hundert Metern Steilabstieg erreichen wir schließlich das Camp am Rande einer gewaltigen Schlucht. Gleich nach der Verteilung der Zelte suche ich mir einen Platz am Abgrund und schaue zu, wie sich die Wolken in immer neuen Formationen vor die Hänge schieben, wie Felsen und Klippen im weicher werdenden Licht des Spätnachmittags allmählich zu einer Mondlandschaft werden.
Die größte Herausforderung der Tour wartet am nächsten Tag auf uns: der Aufstieg auf den Bwahit. Mehr als 800 Höhenmeter sind bis zu seinem 4430 Meter hohen Gipfel zu bewältigen, und das nach einer wenig schlafintensiven Nacht. Meine Beine sind schwer wie Blei. Schon bald keuche ich wie eine alte Dampflokomotive, falle nach und nach ein ordentliches Stück hinter die Gruppe zurück. Den Fotoapparat zücke ich vor allem, weil das Bildermachen mir erlaubt, für einen Moment innezuhalten und nach Luft zu schnappen.
Irgendwann verzichte ich auch auf diese Rechtfertigung, bleibe einfach alle 20 bis 30 Schritte stehen, schaue unbestimmt in die Ferne und hechle, bis sich genügend Luft für die nächsten Schritte in den Lungenfügeln gesammelt hat. Der Scout, der den „Lumpensammler“ macht, wird zu meinem Personal Guide. Geduldig wartet er und lächelt mir aufmunternd zu, wenn die Kräfte wieder einmal zu erlahmen drohen.
Schließlich erreiche auch ich den Gipfel, kaum 15 Minuten später als die anderen und stolz wie Bolle. Ein Siegerfoto mit Guide und Scout darf da natürlich nicht fehlen.
Das Gefühl, es geschafft zu haben, ist großartig. Ebenso wie der 360-Grad-Blick über das „Dach Afrikas“, auch wenn es von da oben gar nicht so hoch aussieht – die umliegenden Gipfel sind ja ebenfalls Viertausender. Aber mein allerliebster Ort in den Simien Mountains liegt wohl doch irgendwo in den Hängen und Klippen um Chennek Camp. Da ließe ich mich gern noch einmal nieder, um eine lange Weile auf das steinerne Meer aus Blaugrüngelbgrau zu blicken, während hoch oben, vollkommen schwerelos, eine Gruppe Lämmergeier segelt. So majestätisch, so überirdisch schön, dass es beinahe schon weh tut.
Und im letzten Licht des Tages würde mir bestimmt wieder einer der seltenen abessinischen Steinböcke über den Weg laufen…
Mit diesen Aussichten beende ich meine virtuelle Reise durch das äthiopische Hochland. Danke für Ihr und euer Interesse.
Vielen Dank, dass Du uns mitgenommen hast.
Grossartig!
LG Erich
Es war mir ein Vergnügen, Erich.
Glückwunsch zur Gipfelerklimmung nachträglich! Ich finde deine Bilder großartig und diese Landschaft atemberaubend schön.
Liebe Grüße, frohes Neues
Christiane
Danke dir, Christiane. Wer weiß, vielleicht reist du eines Tages hin und machst dir selbst ein Bild von dieser in jeder Hinsicht atemberaubenden Landschaft. Auch dir ein gutes erlebnis-reiches neues Jahr!
Sehr eindrucksvoll: trekking in den 4000ern ! Die Berichte sind wie immer vielfältig, Landschaft, Fauna, Flora, Gesellschaft und persönliches Erleben !
Ein reisefreudiges, eindrucksstarkes 2016 mit vielen Glücksmomenten wünsche ich dir ❤
Vielen Dank für dein feines Feedback, Myriade – und ebenso für deine guten Wünsche, die ich herzlich erwidere!
Liebe Maren,
wieder einmal super schöne Bilder. Und wer dann noch so vor sich hin denkt „naja, sieht ja fast aus wie in den Alpen“, der findet gleich auf dem nächsten Bild Palmen (?, du hast einen anderen Namen genutzt, die Pflanzen sehen auf dem Bild aber aus wie Palmen), die sich da in der großen Höhe angesiedelt haben, und so viele Tierarten, die nun wirklich gar nicht in den Alpen vorkommen. Und auf über 4000 Meter herumzuklettern, ist ja wirklich nicht so einfach. Dass die Luft nicht so richtig reicht für sportliche Höchstleistungen, das merkt man ja auch 1000 Meter niedriger.
Viele Grüße, Claudia
Ja, stimmt, liebe Claudia, die Luft wird natürlich schon sehr viel früher spürbar dünner, aber wir waren bereits ein bisschen akklimatisiert, auch durch die Wanderungen in den Geralta-Bergen zuvor. Die „Palmen“ sind Riesenlobelien, die mehrere Meter hoch werden können. Gibt es nicht nur in Afrika, sondern auch in Südamerika in großer Höhe.
Überwältigend! Danke und liebe Grüße.
Freut mich sehr, Madame Filigran.
Phanatstisch, liebe Maren, wohin du uns so mitnimmst und welch feinen Tiere ich durch deine Augen mit meinen sehen darf. Mir haben es ganz besonders die äthiopischen Steinböcke angetan, wobei die Affen … die Krummschnabelkrähe … hach, I love it!
Und dieses stehen bleiben, um ein Foto zu machen, weil ich eigentlich nur mal nach Luft schnappen muss, kommt mir doch irgendwie bekannt vor 😉
herzlich grüsse ich dich und wünsche dir an dieser Stelle ein wunderbares Jahr und noch viele spannende Reisen …
Ulli
Die Steinböcke fand ich auch sehr beeindruckend, liebe Ulli, das heißt den einen, dem ich dort überhaupt nur begegnet bin mit seiner phantastischen Fellzeichnung… und wie groß der war! Die Fauna in den Simien Mountains ist aber tatsächlich insgesamt großartig – eine Welt, so abgeschieden, dass es mehrere Tierarten nur dort gibt. Danke für deine guten Wünsche zum neuen Jahr und auch dir Glückauf und weiterhin viel Kreativität!
Wunderschön und eindrucksvoll! Danke für diese tollen Impressionen. Da packt mich gleich das Fernweh… LG
Dann packst du vielleicht als nächstes die Koffer, Stefanie? Das Fernweh-Wecken ist eine Schuld, zu der ich mich gern bekenne. 😉
Ich werde tatsächlich in ein paar Wochen die Koffer packen. Allerdings geht’s bei mir nicht ins Gebirge, sondern ans Meer 😉
LG
Oh, Meer ist auch gut – viel Spaß!
Was für tolle Fotos! Danke.
Sehr gern. Freut mich, dass dir die Bilder gefallen.
Wie hieß denn der Guide??? Er kommt mir doch recht bekannt vor… 😉
Abebaw. Sag nicht, wir sind mit demselben Guide unterwegs gewesen?
Nein, aber Abebaw sieht Gizmo, unserem Guide sehr ähnlich. Schade eigentlich 😉
Wundervolle Bilder hast Du da gemacht!!! Die Simiens sind schon etwas Besonderes.
Ja, schade. Aber in unserer Begeisterung für die Simiens sind wir uns immerhin einig. Danke für das Lob aus berufenem Mund.
Naja, berufener Mund… Nennen wir es lieber „anerkennende Bewunderung unter Gleichgesinnten Fotofreunden“ 😉
Einfach grandios. Vielen Dank!
My pleasure!
Hej, hast Du das letzte Bild für mich gemacht? Ich bin Steinbock und wir sind im Jahr des Affen 😉 Aber im Ernst – ich wusste das alles nicht, was Du da zeigst und schreibst – jetzt bin ich mal wieder schlauer! Und das an einem Montagmorgen…
Ja dann… war der Steinbock wohl ganz besonders für dich, Stephanie. 😉
Ach liebe Maren, verstehst du es richtig wenn ich dich frage: ob du bald wieder verreist? 😉 Ich kann den nächsten Bericht – egal von wo und über was – kaum erwarten. Danke, daß du uns mitnimmst auf deine Entdeckungen der Langsamkeit!
Schick du mich nur ruhig in die Wüste (wahlweise in die Berge oder ans Meer), liebe Anja! Nie könnte ich deine unnachahmlichen Komplimente missverstehen. „Entdeckungen der Langsamkeit“ – wie schön, dass das so bei dir angekommen ist!
Eine tolle Reise, an der Du uns hadst teilhaben lassen (was für mich fast noch toller ist).
Danke dafür und liebe Grüße
Kai
Ich freue mich riesig, dass du wieder mit dabei warst, Kai!
Wer hat zu danken? Ich. Wir Daheimgebliebenen. Danke!
Mit dem größten Vergnügen!
Wirklich toll, Deine Berichte, Maren. Waren die Affen zum Fürchten oder haben sie kein weiteres Interesse an Menschen?
Nein, Stefanie, die Affen hatten zwar Riesenzähne – ganz besonders für Vegetarier -, aber zum Fürchten waren sie nicht. Ich habe ein paar Mal still am Rande so einer Dschelada-Weide gehockt und war plötzlich mitten zwischen fröhlich mampfenden Tieren, die keinerlei Notiz von mir nahmen. Da hatten es Jane Goodall und Dian Fossey eindeutig schwerer. 😉
Liebe Maren, wunderschöne Bilder und eine wunderschöne Berichtreihe. Ich kannte Äthiopien so gar nicht und habe viel gestaunt. Danke dafür und ein frohes Neues! LG Ulrike
Freut mich sehr, Ulrike, dass auch die Weitgereiste Stoff zum Staunen fand. Auch dir ein gutes neues Jahr!
Es ist doch immer wieder das gleiche – kaum ist man aufgebrochen, ist die Reise vorbei, man sitzt wieder zu Hause auf dem Sofa und fragt sich: War ich überhaupt weg?! Es war eine wunderbare Reise mit dir, liebe Maren – großen Dank aus der kleinen Hansestadt und wie gut, dass deine Fotos mir beweisen, dass ich wirklich dabei war 😉
Haha, liebe Jutta, jetzt bringst du mich aber richtig zum Lachen: Da schreibt die bekennende Nicht-Reisetante, als wäre sie eigentlich immerzu on the road… herrlich!!! Der Dank ist ganz auf meiner Seite: Schön dass du dabei warst!
Habe mich sehr wohlgefühlt an deiner Seite – hoffe sehr, dass du mich beim nächsten Mal wieder mitnimmst!
Unbedingt! 🙂
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