Fremde

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Anna Schmidt aus Berlin hat zu einer Blogparade aufgerufen:

Schreiben gegen Rechts.

Hier ist mein Beitrag dazu:

 

„Fremde sind Leute, die später gekommen sind als wir: in unser Haus, in unseren Betrieb, in unsere Straße, unsere Stadt, unser Land. Die Fremden sind frech; die einen wollen so leben wie wir, die anderen wollen nicht so leben wie wir. Beides ist natürlich widerlich. Alle erheben dabei Ansprüche auf Arbeit, auf Wohnungen und so weiter, als wären sie normale Einheimische. Manche wollen unsere Töchter heiraten, und manche wollen sie sogar nicht heiraten, was noch schlimmer ist. Fremdsein ist ein Verbrechen, das man nie wieder gutmachen kann.“

Ein Auszug aus dem Text „Fremde“ von Gabriel Laub. Welche Worte würde der 1998 gestorbene Satiriker wohl heute wählen, um dem um sich greifenden Fremdenhass die Stirn zu bieten?

*

In der Gesprächsgruppe behandeln wir gerade das Thema Redewendungen. „Jeder Topf findet seinen Deckel.“ J. strahlt. In seiner Heimat, in Syrien, sagt man das auch, und es hat genau dieselbe Bedeutung wie hier. Aber vor allem strahlt J. wohl, weil er seinen Deckel längst gefunden hat. In ein paar Wochen ist Hochzeit. Dann kommt seine Freundin R. „unter die Haube“. Die jungen Männer aus verschiedenen afrikanischen Ländern sowie dem Nahen und Mittleren Osten gucken ratlos. Unter einer Haube kann sich keiner von ihnen etwas vorstellen. Nach einigem Hin und Her verständigen wir uns auf: Kopfbedeckung irgendwo zwischen Mütze und Schal. Jaha, Sprache kennt Grenzen! Manchmal auch die der Gesprächsgruppenleiter. Noch überraschter waren die Teilnehmer ohnehin zu erfahren, dass die Redensart auf eine in Europa bis in die Neuzeit gepflegte Tradition zurückgeht, nach der verheiratete Frauen ihre Haare unter einer Haube verbargen, um auf diese Weise geordnete Zustände, Anständigkeit und Würde zu demonstrieren.

Zu seiner Hochzeit hat J. die anderen aus der Gruppe eingeladen. M. ist dabei, eine Fahrgemeinschaft zu organisieren. M. ist Afghane und Muslim. J. ist Christ. Vielleicht wird das Fest ein bisschen so wie die Feiern in seiner Heimat, an die er sich erinnert, damals vor dem Bürgerkrieg, als es noch keine große Rolle spielte, welcher Religion einer folgte.

23 Kommentare zu “Fremde

    • Liebe Anna, ich freue mich wirklich sehr über deine Initiative und hoffe, dass noch viele Beiträge folgen, die uns daran erinnern, wie bunt die Welt ist, in der wir leben – und was es zu verteidigen gilt!

      • Liebe Maren, ich bin jetzt schon ganz glücklich und es sind erst drei Tage – was ich bisher gelesen habe, bestärkt mich sehr, dass es richtig war. Ich bleibe gespannt und freue mich tatsächlich auf eine sehr bunte Zusammenstellung, die vielleicht ja den ein oder anderen zum Nachdenken bringt. 🙂

  1. Liebe Maren, ich mag deinen Beitrag sehr, weil er erzählt, weil er nicht anprangert, weil du mit dem Jetzt umgehst! Ich danke dir. Ich nehme mir ein Beispiel …
    Herzliche Grüsse
    Ulli

      • Hi, hi, das ist österreichischer Grundwortschatz.
        Was ist das für eine interessante Gesprächsgruppe ? Bist du Psychologin ? Ich weiß, ich weiß, ich bin überhaupt nicht neugierig 🙂

      • Haha, eine verwandte Seele… sonst bin immer ich die mit den vielen Fragen. 😉 Nein, ich bin keine Psychologin. Ich arbeite vor allem als Biografin: Menschen erzählen mir aus ihrem Leben, ich mache ein Buch daraus. Die Gesprächsgruppe hat mit der Arbeit nichts zu tun. Dort sprechen wir über verschiedene Themen und machen gemeinsame Ausflüge, die zum Thema passen. Dieses Angebot für Migranten, die ihre Deutschkenntnisse anwenden und vertiefen wollen, gibt es inzwischen in vielen Hamburger Stadtteilen.

      • Aha, das ist ja spannend. Ich stelle es mir schwierig und gleichzeitig sehr reizvoll vor, sich in eine fremde Biografie zu vertiefen.
        Gesprächsgruppen für Migranten, also keine „Wertekurse“ sondern Vermittlung von kultureller Kompetenz in der Praxis …. Das finde ich sehr gescheit, wahrscheinlich kann man da vieles miterleben

  2. Es ist schön, dein Beispiel und deine Erfahrung zu lesen. Wunderbar, wenn Verständigung da ist und Feste miteinander gefeiert werden, egal welcher Name unser Gott trägt.
    Ich komme gerade von den syrischen Nachbarn und Hände, Füße, Gestik, Mimik und einige deutsche Wörter reichen bereits, wir haben über die gleichen Sachen gelacht. Und dann lese ich nun deinen Beitrag. Das passt und ich wünsche jedem diese Begegnungen, wie auch du sie erlebst.

    • Ein schöner Wunsch, liebe Marion! Ja, ich glaube auch, dass Begegnungen der richtige Weg sind – um Ängste abzubauen und Vorurteile zu überwinden, aber natürlich auch, um einfach Spaß miteinander zu haben. Als ich deine Zeilen las, war mir, als hörte ich dich zusammen mit deinen Nachbarn lachen.

  3. Vom Gelingen erzählen: Das ist wichtig und geht zur Zeit auch unter… neulich erzählte mir eine Freundin empört von einer Frauenrunde, die sie besucht hatte. Eine Frau war dabei, die ehrenamtlich in einem Heim arbeitet – und wohl ohne Punkt und Komma über die Männer und deren Verhalten ihr gegenüber geschimpft hat. Meiner Freundin kam das etwas vor, als wolle die hören: „Toll, wie Du Dich opferst, was Du alles machst…“ Da ging sie dazwischen, bremste die Frau aus und sagte: „Und was sind die guten Erlebnisse? Wozu engagieren Sie sich dort, wenn sie nur Negatives verbreiten?“. Erst waren alle verblüfft, und dann kamen von vielen anderen Erlebnisse vom „Gelingen“. So sollte es sein.

    • Dieses fast schon lustvolle Breittreten von Negativem ist wirklich ein Ärgernis – und dient ja oft auch gar nicht der Veränderung oder bezweckt diese auch nur. Die Intervention deiner Freundin nach der Devise „love it, change it or leave it“ scheint mir da genau richtig gewesen zu sein, Birgit.

  4. Auch mir gefällt dies Beispiel mit „unter die Haube kommen“ besonders. Oft haben wir es ja mit einer Art „time-lag“ zu tun: was bis vor kurzen in Europa noch galt, gilt eben jetzt noch woanders. ZB das Frauenwahlrecht, dass Frauen über Vermögen verfügen dürfen, dass sie ihren Partner selbständig aussuchen und keine Mitgift brauchen… (in der arabischen Welt und auch in China war es umgekehrt, da bezahlte der Mann einen Brautpreis …) Das ist ein riesiges Feld, das vielleicht mal jemand beackern wird.

  5. Pingback: Ich habe nichts gegen Ausländer … | Über das Schreiben von Geschichten

  6. Liebe Maren, mal abgesehen davon, dass mir Dein Text natürlich total gefällt, bin ich baff, was die Haube betrifft. Danke schön, Stefanie

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