Hommage an das Kamel

p1170424Ich bin Reiterin. Nie hätte ich es für nötig befunden hinzuzufügen, was ich reite. Pferde natürlich. Je temperamentvoller, desto besser. Auf Reisen hatte ich auch schon mal Esel oder Maultiere unter dem Sattel. Die sind zwar manchmal etwas störrischer, funktionieren aber im Prinzip wie Pferde. Aber so ein Kamel…

p1170325Meine ersten Begegnungen mit dem Wüstenschiff als Reittier waren literarischer und cineastischer Natur. Karl May natürlich, Lawrence von Arabien und – besonders eindrücklich – Tschingis Aitmatows großer Roman „Ein Tag länger als ein Leben“, von dem mir vor allem jene Szenen in Erinnerung geblieben sind, in denen der alte Edige auf seinem Kamelhengst Karanar durch die Steppe der früheren Sowjet-Republik Kirgisien reitet. In einer kleinen Bahnstation ist ein Arbeiter gestorben, Edige will ihm nach alter Sitte die letzte Ehre erweisen. Nicht so einfach, denn der Weg führt mitten durch militärisch abgeschirmtes Gebiet. Von einem nahe gelegenen Kosmodrom starten mehrere Raketen. Amerikaner und Russen sind geschockt, wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Die russische Erstausgabe erschien 1981, ebenso die erste Übersetzung ins Deutsche unter dem Titel „Der Tag zieht den Jahrhundertweg“. 1990 erweiterte Aitmatow den Roman um fast ein Drittel. Wie gesagt, ich erinnere mich vor allem an das Kamel in der Steppe:

p1170654„Auf seinem Karanar thronend, ritt Schneesturm-Edige voran, wies die Richtung nach Ana-Bejit. Weit ausschreitend ging unter ihm Karanar, immer mehr sich in den Rhythmus des Marsches hineinfindend. Für einen Kenner war Karanar besonders schön beim Laufen. Der Kopf des Kamels auf dem stolz gebogenen Hals schien über Wogen dahinzugleiten, blieb fast unbeweglich, während die langen, sehnigen Beine die Luft durchschnitten, auf der Erde unermüdlich Schritt um Schritt zurücklegten. Edige saß zwischen den Höckern – fest, bequem und sicher. Er war zufrieden, dass Karanar nicht angetrieben werden musste, dass er leicht und feinfühlig die Hinweise seines Herrn befolgte.“

p1170602So rund lief es durchaus nicht immer zwischen Herr und Tier: „Er (Edige) schritt zur Koppel, wo Schneesturm-Karanar, den er von der Weide hergetrieben hatte, an der Leine stand und böse aufbrüllte. Sah man davon ab, dass Karanar zweimal wöchentlich mit der Herde zu dem Brunnen am Pumpenhaus kam, um sich satt zu trinken, so lief er fast die ganze Woche Tag und Nacht frei herum. Er gehorchte nicht mehr, der Bösewicht, und jetzt verlieh er seiner Unzufriedenheit Ausdruck; wütend riss er das scharfzahnige Maul auf, wenn er von Zeit zu Zeit losschrie: Es war die alte Geschichte – an Unfreiheit muss man sich erst wieder gewöhnen.“

p1170565Aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass der feurige Karanar ein zweihöckriges Kamel ist, ein sogenanntes Trampeltier. In Marokko waren wir mit Dromedaren unterwegs, den einhöckrigen Verwandten. Auch sie gebärdeten sich bisweilen ziemlich wild beim Aufzäumen, bleckten die Zähne und brüllten wie ein Rudel Löwen. Mehr als einmal fürchtete ich um Hände und Nacken von Ibrahim und Hamou, unseren beiden Chameliers. Mit seinem langen Hals hat ein Dromedar doch eine ganz andere Reichweite als ein Pferd.

p1170566Auf dem Hals ruht ein Kopf mit wunderbar langwimprigen Augen, aus denen das Tier wahlweise arrogant, beleidigt oder unbestimmt verschmust in die Welt schaut, als könne die ihm nun wirklich gar nichts Neues mehr bieten. Tatsächlich ist es ja auch so, dass das Kamel bereits alles hat, was es und mit ihm die Menschen in seinem Gefolge in den Wüstenregionen dieser Erde zum Überleben brauchen. Die langen Wimpern und die kleinen behaarten Ohren zum Beispiel verhindern das Eindringen von Sand und Staub. Die schlitzförmigen Nüstern schließen sich bei Sandsturm gleich ganz. Und mit seiner gespaltenen Oberlippe kann das Kamel selbst dornige Zweige abreißen und mit viel Speichel im Maul zermalmen, ohne sich zu verletzen. Knie, Ellenbogen und Brustbein sind schildförmig verdickt, um beim Sitzen die Gelenke zu schonen und die Bodenhitze von der Bauchhöhle abzuhalten. Tellerförmig gespreizte Füße verhindern das Einsinken im weichen Sand, dicke schwielige Sohlen schützen gegen scharfkantige Steine und heißen Boden. Ein Kamel kann in einer Viertelstunde 200 Liter Wasser saufen, die in mehreren Vormägen eingelagert werden und dort wochenlang zur Verfügung stehen. Es kann seine Körpertemperatur regulieren um nicht zu schwitzen und saugt überhaupt jedes Fitzelchen Flüssigkeit aus allem heraus. Selbst seine Kötel sind aufs Äußerste komprimiert und machen beim Fallen auf lehmigen Grund leichte Klackklack-Geräusche.

p1170418Wahrscheinlich fragt sich der eine oder die andere inzwischen, wie es denn nun ist, ein Dromedar zu reiten und wo genau man überhaupt sitzt. Eine Position zwischen den Höckern wie bei Schneesturm-Karanar gibt es schließlich nicht. Bei den Tieren unserer Karawane war der eine Höcker mit einem Gestell komplett umpolstert. Auf die Gestelle waren Schaumgummimatten gebunden, die uns im Lager auch als Sitzkissen und Schlafmatten dienten. Auf den solcherart ausstaffierten Dromedaren hockt man weit hinten, praktisch hinter dem Höcker. Mit mehr oder weniger weit gespreizten Beinen, abhängig von der Physiognomie des Tiers und davon, ob es neben dem Reiter noch weitere Lasten zu tragen hat, die gegebenfalls in großen Taschen zu beiden Seiten des Gestells befestigt werden. Weich sitzt es sich in jedem Fall. Und während das Wüstenschiff ausschreitet, fließt der Reiter in großen Wellen vor und zurück. Irgendwie meditativ fühlt sich das an, beinahe ein wenig entrückt, was auch an der Höhe liegen mag. Rückenmassage inklusive. Ob das jetzt reiten ist oder eher sich tragen lassen – schließlich führten Ibrahim und Hamou die Tiere am Strick – wer will das gewichten?

p1170362Ein Kamel ist kein Pferd, soviel ist sicher, aber ebenfalls äußerst faszinierend. Same same but different. Und ab jetzt träume ich davon, einmal auf einem Kamel im gestreckten Galopp den Wind zu überholen.

p1170662

36 Kommentare zu “Hommage an das Kamel

  1. Liebe Maren, deine Hommage an das Kamel und das Dromedar ist zauberhaft. Ich finde immer, wenn ich diese Tiere anschaue, dass sie etwas Königliches haben, sie ruhen in sich selbst, als wüßten sie, dass ihnen nur wenig etwas anhaben kann, außer den Menschen natürlich, die es zähmen und nutzen, da darf es auch einmal brüllen und die Zähne zeigen, wenn es doch vielleicht viel lieber noch im Sand liegen bleiben würde?!
    Kennst du den Film: Die Geschichte vom weinenden Kamel – von Byambasaduren Davaa und Luigi Falorni – Untertitel: ein wahres Filmmärchen, Prädikat besonders wertvoll? Wenn nicht, dann kann ich ihn dir nur ans Herz legen, so berührend!
    Danke auch für die zauberhaften Bilder dieser wunderbaren Tiere.
    Ich wünsche dir ein schönes und erholsames Wochenende und grüße dich von Herzen
    Ulli

  2. Danke für deine zoologisch-literarischen Erläuterungen und die wie immer großartigen Fotos, die wie Charakterstudien der einzelnen Dromedare aussehen.
    Aber das Wesen auf dem letzten Foto – da bin ich ganz sicher – das muss das Urmel sein 🙂

    • Hahaha, das Urmel aus dem Eis… Fast meine ich die Urmel-Lieder zu hören. Tatsächlich handelte es sich um „mein“ Dromedar in der Mittagspause. Nicht etwa erschöpft vom Marsch am Vormittag sondern tiefenentspannt.

      • Bei den Temperaturen draußen, die mich davon abhalten, auch nur eine Pfote vor die Tür zu setzen, interessiere ich mich momentan für fast alles, was vier Beine hat und keinen Schnee um sich herum hat 🙂 Da kommen Deine Kamele gerade recht!!!!

  3. Kamele und Dromedare haben ein besonderes Wesen. Es gibt für so schnelle Reiterinnen wie Dich auch Rennkamele. Solche habe ich in der Tila Liwa Wüste kennengelernt ….phht… wie der Wind.

    • „Phht… wie der Wind.“ Das hört sich toll an. Muss nur erst lernen, wie man so ein Kamel auch wieder anhält. 😉 Am besten natürlich nicht auf der Rennbahn sondern draußen in der Natur. Saßen auf den Kamelen, die du gesehen hast, eigentlich echte Jockeys oder diese gruseligen Roboter?

  4. Ein wunderbarer Bericht liebe Maren! Lange ist’s her da bin ich auch geritten auch auf Fuchsjagden, aber ohne einen Fuchs zu töten, natürlich! Das gibt es im hohen Norden bei Euch doch sicher auch, oder!
    Aber so ein Kamelrennen ist sicher auch eine spannende Sache! Bist Du Mal galoppiert bei Deinem Kamelritt? Ja und Deine Fotos finde ich auch super!

    Hab ein schönes Wochenende!

    Lg Babsi

    • Noch eine Kamelfreundin, wie schön! Ja, Fuchsschwanzjagden gibt es auch hier im Norden. In meiner Jugend habe ich mal an einer teilgenommen. Damals fand ich das ziemlich aufregend. Inzwischen würde ich sagen, derartige Aufläufe sind nichts für mich. Rennen übrigens auch nicht wirklich. Ich bin einfach gern draußen in der Natur, auch zu Pferd. Und auf einem Kamel würde ich gern mal irgendwo in der Steppe nach Herzenslust galoppieren, den Wind spüren, die Bewegung, die Kraft des Tiers… Auch dir ein schönes Wochenende, Babsi!

  5. Ich bin keine Reiterin, von ein paar eher abenteuerlichen Ausflügen auf Mallorca und in der Mongolei abgesehen. Aber auf so einem Kamel durch die Wüste zu schaukeln, das wäre schon was… Danke für Deinen schönen Bericht und die mal wieder atemberaubenden Bilder. Herzliche Grüße, Peggy

    • Oh, du warst in der Mongolei, Peggy? Womöglich sogar auf dem Rücken eines dieser zähen kleinen Pferdchen? Hach, in diesen Teil der Welt zieht es mich auch mit Macht! Für ein Kameltrekking brauchst du übrigens keine Reitkenntnisse. Nur die Bereitschaft, dich (durch-)schaukeln zu lassen. 😉 Von Dubai aus gibt es sicher auch kürzere Touren zum Schnuppern.

      • Ja, genau. Und da ging es ziemlich flott durch die Steppe. Ich hatte Mühe, oben zu bleiben 🙂
        Wir haben schon zwei Alternativen für kurze Kameltouren gefunden, hatten aber noch keine Gelegenheit, sie auszuprobieren. Aber das kommt bestimmt. Liebe Grüße und einen schönen Restsonntag, Peggy

  6. Sehr schöne Bilder, liebe Maren, sehr schöne Erklärungen und Beschreibungen zum Kamel. Und so lasse ich mich nun auf dem gut gepolsterten Kamelsattel durch den Sonntag tragen – oder schaukeln :-).
    Viele Grüße, Claudia

    • Ich fürchte, ein Großteil der Unterhaltung drehte sich hier um ziemlich profane Dinge, Anna. „Friß mir bloß nicht alles weg!“ Sowas in der Art. Dem Gierschlund ganz links rieselt gerade eine ordentliche Ladung Trockenfutter aus dem Maul. – Tatsächlich wüsste ich natürlich auch furchtbar gern, was sich diese ausdrucksstarken Tiere so zu erzählen haben. Zumal sie entgegen der unter Menschen gebräuchlichen Beleidigung „Du Kamel!“ als ziemlich klug gelten.

  7. Ja, zauberhaft – da kann ich mich nur anschließen – die Fotos (das letzte Bild ist mein Favorit!), Deine Beschreibungen und Gedanken zum Kamel und die Vorstellung vom gestreckten Galopp – da hab‘ ich dann doch tatsachlich laut gelacht. Liebe Grüße Ulrike

  8. Pingback: Und immer die Wüste | Von Orten und Menschen

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s