Juans fliegende Fische

Ich ging dann doch noch weiter: vom Ende der Welt nach Norden, die Costa da Morte zur Linken. Wie liebe ich Raúls eigenwillige Erklärung für den Namen des Küstenstreifens im äußersten Nordwesten der iberischen Halbinsel. „Todesküste“ habe man ihn nicht etwa wegen der vielen Seefahrer genannt, die in der rauen See und an den Klippen ihr Leben ließen. Ach, staunte ich zwischen zwei Bissen Toastbrot. Sondern? Na, weil doch Abend für Abend die Sonne über dem Meer starb… Irgendwo in Raúls Genen muss ein Rest des Sonnenkults überlebt haben, der in der Gegend unter Kelten wie Römern so viele Anhänger hatte. Heilige Steine wie der Ara Solis, der „Sonnenaltar“ auf dem Monte Facho oberhalb des Leuchtturms von Kap Finisterre erinnern bis heute daran.

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Nur noch ein paar Kilometer sind es bis Muxía. Wie verlockend der kleine Pfad aussieht. Bloß weg von der Straße! Hinein in die Büsche, bis es gar keinen Weg mehr gibt. Zuletzt folge ich Hufspuren in der Annahme, dass die Pferde einen Reiter getragen haben, aber die Tiere sind offenbar frei herumgelaufen. Die Spuren enden an einem kleinen Wasserlauf. Egal. Das Meer und die Straße sind ja weiterhin zu hören, geben Orientierung. Der alte Mann in den Dünen staunt nicht schlecht, als ich aus dem Dickicht breche. Meine Frage, ob ich wohl nach Belieben zur Straße hinaufklettern könne, bejaht er grinsend. Wir seien schließlich nicht in Nordkorea. Immer vorausgesetzt natürlich, ich könne. Steil ist es, da hat er Recht, aber kein wirkliches Hindernis für eine, die gerade eine mehrwöchige Wanderung hinter sich hat.

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Muxía ist ein Ort mit viel Wetter. An diesem Tag bläst der Wind aus Leibeskräften. Tanzend, rollend, schnaubend bahnt sich die See ihren Weg ans Ufer. An den vorgelagerten Felsen ruft sie die tollsten Explosionen hervor. Welch eine Kraft! Eine vorwitzige Passantin reißt es um ein Haar in die Fluten.

Von Bö zu Bö arbeite ich mich zum Heiligtum Nosa Señora da Barca am sturmgepeitschten äußersten Ende der Stadt vor. Nach Muxía war der Apostel Jakobus der Legende zufolge von Finisterre aus gereist, um sich zu erholen – überzeugt davon, dass er mit seinem Anliegen gescheitert war, die Einheimischen vom Sonnenkult ab- und ihnen die christliche Botschaft nahezubringen. In ein Gebet vertieft, so heißt es, weilte der Apostel am Meer, als sich die Jungfrau Maria in einem steinernen Boot näherte und ihm versicherte, seine Mission sei durchaus erfolgreich gewesen, er solle nur nach Jerusalem zurückkehren. Ein Rat, der sich am Ende als tödlich erwies.

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Wie weit können fliegende Fische wohl fliegen? Diese nicht so weit, sagt Juan und lacht. Seit seinem 14. Lebensjahr verarbeitet der 88-Jährige Congrio (Meeraal) zu den schönsten Kunstwerken. Mit dem Messer schneidet er in regelmäßigen Abständen Löcher in die Tierleiber, damit sie auf den hölzernen Gestellen am Meer besser trocknen. Die Konservierungsmethode haben einst die Katalanen nach Muxía gebracht. Anders als der in Galicien (und Portugal) stärker verbreitete Bacalao (Stockfisch) wird Congrio nicht gesalzen. Trotzdem muss man ihn vor dem Verzehr 48 Stunden wässern, sagt Juan, der Konsistenz wegen. Am besten schmecke er mit Kicherebsen.

Die jungen Leute, die mit einer Bierdose in der Hand an dem sonnenbeschienenen Mäuerchen ein paar Meter weiter lehnen, verstehen nicht so recht, was ich an dem Fisch so besonders und an der Art, wie er da hängt, so schön finde. Aber schmecken tue er, das ja. Oft kommt das Grüppchen allerdings wohl nicht in den Genuss. Der Großteil der Fische ist nämlich für auswärtige Abnehmer bestimmt. Nicht einmal gefangen wird er an der Costa da Morte sondern irgendwo vor dem französischen La Rochelle, erzählt Juan, der nun schon so lange für den galicischen Schliff sorgt.

Mit diesem Beitrag endet die kleine Reihe über meinen ersten Jakobsweg. Danke für euer Interesse!

14 Kommentare zu “Juans fliegende Fische

  1. Sehr gerne mitgewandert.
    Zumindest im Sessel.
    Vielen Dank für das teilen der tollen Photos und deiner Eindrücke.
    LG Erich

  2. Einen Reisebericht bei dir zu lesen ist immer ein Abenteuer der besonderen Art. Ganz herzlichen Dank, liebe Maren, für dies wieder köstliche Mitnehmen und Mitgenießendürfen!

  3. Also da bekomme ich auch Lust, „es zu tun“. Mal sehen, ob und wann ich das angehe (im wahrsten Sinne des Wortes).
    Dieser Bericht heute hat mich besonders interessiert, denn Rosalia der Castros Buch (Bericht in meinem Blog folgt) spielt genau dort, und sie hat das Wetter an dieser Küste ausgiebig beschrieben, Deine Beschreibung ist eine Bestätigung..

    • Ja, mir scheint, stürmische Winde und kraftvolle Wellen sind in der Ecke an der Tagesordnung. Der Sturm entwickelt sich gelegentlich sogar von jetzt auf gleich aus einem bis dahin stillen blauen Himmel. Sehr faszinierend. Auf deine Rezension von Rosalías Werk freue ich mich jetzt schon!

  4. Deine Reisebeschreibungen sind wirklich besonders. Ich lese sonst nicht so viele, aber deine immer gerne.
    Bemerkenswert finde ich die Geschichte der Marienerscheinung. Dass man Menschen, die so eng mit dem Meer verbunden sind, ein steinernes Boot glaubwürdig machen kann …..

    • Wenn das kein feines Kompliment ist – vielen Dank! Über das steinerne Boot bin ich auch gestolpert. Ich habe das so in meinem Reisetagebuch notiert, weiß aber leider nicht mehr genau, woher ich die Information habe. Wenn es sich nicht um einen Übertragungsfehler handelt und in Wirklichkeit vielleicht nur gemeint war, dass die Jungfrau mit ihrem Boot zwischen den Steinen anlegte, dürfte es sich um ein Beispiel aus der Rubrik „der Glaube versetzt Berge“ handeln. 😉

  5. Das war wahnsinnig schön! (Allein die Bucht. Aber auch die Aale. Ich hoffe, sie haben besser geschmeckt als Bacalao?!)

    • Geständnis einer Entdeckerin mit vorübergehender Fisch-Übersättigung: Ich habe den Meeraal gar nicht probiert. Oder: Es gibt immer einen Grund, an schöne Orte zurückzukehren… 😉
      P.S. Danke!

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