Vor tausend Jahren schon

Oft weiß ich ganz genau: Ich … war … einmal;
Ich habe schon einmal all dies gesehn;
Der Baum vor meinem Fenster rauschte mir
Ganz so wie jetzt vor tausend Jahren schon;
All dieser Schmerz, all diese Lust ist nur
Ein Nochmals, Immerwieder, Spiegelung
Durch Raum und Zeit. – Wie sonderbar das ist:
Ein Fließen, Sinken, Untertauchen und
Ein neu Empor im gleichen Strome: Ich
Und immer wieder ich: Ich … war … einmal.

Otto Julius Bierbaum (1865-1910): Ich … war … einmal

Stille. Und. Weite.

Beim Aufräumen stieß sie auf längst vergessene Kinogutscheine. Ein Geschenk des allerbesten guten Freundes, der nun schon so lange fehlte. Die junge Frau an der Kasse lächelte: „Kein Problem. Bei uns verfallen die Gutscheine nicht.“ Als sie den großen Saal betrat, war sie allein. Um sie herum ein Meer aus rotem Samt. Es kamen dann noch vier andere. Schauten sich um. Wählten ruhig und bestimmt ihren Platz. Kein Husten. Kein Rascheln. Kein Popcorn. „Zeit für Stille“. Eineinhalb Stunden lang.

Anderntags tauschte sie einen weiteren vergessenen Gutschein ein. Für Weite dieses Mal: „Die Geschichte von einem Weg um die Welt“. Seltsamerweise fühlte sich das kleine Kino kein bisschen eng an. Dreieinhalb Jahre war das sympathische Paar aus dem Schwarzwald unter-weg-s. Dreieinhalb Jahre Begegnungen mit anderen Menschen und Kulturen. Dreieinhalb Jahre Begegnungen mit sich selbst und der eigenen Herkunft.

Während sie durch die gar nicht stille regennasse Stadt nach Hause stapfte, dachte sie an eigene Wege, an eigene Begegnungen in der Welt. Dachte an den allerbesten guten Freund. Und an den alten Kämpfer und die alte Königin in ihrem Exil, die immer da gewesen waren, wenn auch zuletzt immer weniger. In letzter Zeit hatte sie nicht oft das Gefühl, dass alles gut war, wie es war. Für einen Moment war so ein Moment.

Bei Licht betrachtet

p1170850… ist es phantastisch, zu Hause zu sein bei der Freundin, während die Freundin auf Reisen ist und das eigene Zuhause eine Baustelle.

p1170856… ist es todtraurig, wenn die, die sich sorgten und kümmerten, als du selbst noch kein Wort sprachst, nicht einmal mehr ihren eigenen Namen wissen.

p1170846… ist es Zeit für die Liebe, besonders im Frühjahr. Und für Rose Ausländer, immer wieder.

Noch bist du da

Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Auf lyrikline kannst du dir das Gedicht auch von der Autorin vorlesen lassen.

Einer, der fehlt

Er war eigen. Nicht artig. Bis in den Tod. Keine Reden sollten auf seiner Beerdigung gehalten werden. Gestorben zur rechten Zeit ist in seinen Grabstein gemeißelt. Den hatte er selbst in Auftrag gegeben, da war er noch nicht einmal fünfzig. Seine Frau war schockiert. Dachte er denn gar nicht an sie und die kleine Tochter? Mich lehrte er die Liebe zur kleinen Kunst. Einst hab ich drei Weiden besungen. / Eine ist nur geblieben. / Ich habe drei Weiden besungen. / So sind auch drei Weiden geblieben. Auch diese Zeilen seiner Freundin Eva Strittmatter stehen auf dem Grabstein.

Strangers in the night

Der harte Kern rückte an einem Tisch zusammen. Jemand stellte halbleere Flaschen Sekt und Schnaps in die Mitte. Prost! Und noch einmal: Prost! Jemand drehte noch einmal die Anlage hoch. Ein paar Je-mann-de und Je-frauen fanden sich noch einmal zum Tanz, schon nicht mehr ganz sicher in den Kurven. Da drehten und lachten zwei, die nichts voneinander wussten, als dass sie gern tanzten und beide gern führten. Bis keiner mehr führte und zwei sich wiegten wie ein Leib. „If you leave me now“. Da wiegten sich zwei und lachten nicht mehr, die nichts voneinander wussten. Aber ihre Körper erinnerten sich.