Ich sehe Farben

Ich denke an nichts, wenn ich male, ich sehe Farben.

Paul Cézanne (1839 – 1906), französischer Maler

Ich möchte das Rauschende, Volle, Erregende der Farbe geben, das Mächtige.

Paula Modersohn-Becker (1876 – 1907), deutsche Malerin

Ich habe nichts dagegen, wenn man die Farbe sogar zu fühlen glaubt;
ihr eigenes Eigenschaftliche würde nur dadurch noch mehr betätigt.

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832), deutscher Dichter

Impressionen aus dem Botanischen Garten in Hamburg

Farben des Orients

Ich schreibe nicht in Blau
damit das Meer nicht austrocknet
Ich schreibe nicht in Grün
damit der Garten nicht verdorrt
Ich schreibe nicht in Rot
damit kein Blut fließt
Ich schreibe in Schwarz
damit die Nacht vergeht

Huda Ablan: Farben

Aus: „Die Minze erblüht in der Minze“, Arabische Dichtung der Gegenwart, herausgegeben von Ilma Rakusa und Mohammed Bennis, München 2007

Doch nun lauscht den Bildern und hört die Geschichten, die sie erzählen…

Orientierungshilfe

Hamburg hat über 2500 Brücken. Mehr als Venedig und Amsterdam zusammen, sagt das städtische Marketing. Sechs von ihnen will ich euch kurz vorstellen. Besonders schön sind sie nicht, aber… nun ja: besonders. Als erstes fiel mir die Braune Brücke auf. Da hatte ich die Grüne schon ungezählte Male passiert, auf dem Weg in die Vier- und Marschlande, Hamburgs Gemüsegarten. Und auch die Schwarze unmittelbar vor den Elbbrücken. Nur eben nicht mit Bewusstsein.

Die Braune Brücke nahm ich wahr. Sie verbindet die alten Arbeiterviertel Hamm im Norden und Rothenburgsort im Süden. Und sie führt mitten hinein in ein kleines Paradies, über das ich hier schon geschwärmt habe. Mein liebstes Hausboot, lila und wunderbar nostalgisch, liegt nur einen Steinwurf entfernt. Und auch sonst war neulich, als die Sonne überraschend kräftig vom blauen Himmel lachte, einiges los an der Bille. Aber das ist eine andere Geschichte.

Hier geht es um die sechs farbigen Brücken, die den Nebenfluss der Elbe in seinem schiffbaren Unterlauf überspannen: rot, gelb und blau, braun, grün und schwarz. Die erste und zugleich älteste ist die Rote Brücke, die tatsächlich eher rosa ist, unterhalb von Kirchsteinbek. Über die Gelbe und die Blaue Brücke erreicht man Billbrook mit seinen vielen kaum noch befahrenen Kanälen – eine der größten Industrieflächen Hamburgs, auf der aber auch so wunderbare Zeitzeugen wie das Kaiserliche Postamt nahe der Roten und das Alte Metallwalzwerk nahe der Gelben Brücke überlebt haben.

Was es mit der Farbenlehre auf sich hat? Nun, man wollte den vielen ausländischen Arbeitern, die schon im 19. Jahrhundert in Hamburg lebten, die Orientierung erleichtern und strich die Geländer und  – bei dem Verkehr, der früher auf der Bille und den Kanälen herrschte, vielleicht noch wichtiger – auch die Unterseiten der Brücken in verschiedenen Farben an.

Eine schöne Vorstellung, dass „Brücke“ zu den ersten Worten gehört haben mag, die ein Fremder einst in Hamburg lernte!

P.S. Die ganz oben abgebildete blaue Brücke ist übrigens nur eine blaue Brücke über die Bille, verwirrenderweise angesiedelt zwischen der Roten und der Gelben, aber sie ist mit ihrem Bogen einfach schöner als die Blaue, die man stromabwärts im Anschluss an die Gelbe passiert. Noch Fragen?

Den Sternen so nah

P1080944Ocker. Bernstein. Honiggelb. Gold. Purpur. Rosa. Zimt. Orange. Ziegel- und Zinnoberrot… So viele Farben hat die Wüste. Und nur eine Stille.

Das warme Licht des Spätnachmittags, wenn die Hitze des Tages allmählich ihren Griff lockert. Der sanfte Wind, der über das silbrig-gelbe Savannengras streicht. Und ein Himmel in Azur.

Das Verlöschen des Tages und dieses einzigartige Licht, wenn die Sonne schon untergegangen ist, in dem sich noch einmal alle Farben der Wüste spiegeln. Langsam genug, dass sich die Bilder in die Seele einbrennen können.

Dann ist es dunkel. Aber doch nie ganz. Weit spannt der gigantische Sternenhimmel der Südhalbkugel sein Dach über die Dünen. Das Kreuz des Südens. Zum Greifen nah.

Eine Weile noch wispern zwei in ihren Schlafrollen unter dem Kameldornbaum. Endlich ist nichts mehr als Stille zu hören. Eine Stille, die ganz erfüllt. Stille.

„Es gibt ein Vergessen alles Daseins, ein Verstummen unseres Wesens, wo uns ist, als hätten wir alles gefunden.“ (Friedrich Hölderlin in: Hyperion oder der Eremit in Griechenland)

Der Zauber der frühen Stunde. „Morning has broken like the first morning…” Kein Amsel-Singen wie am ersten Tag, aber das riesige Gemeinschaftsnest der Siedelweber wird sicher auch an diesem Tag noch ein Stück größer werden.

Spuren im Sand. Von einem Gecko vielleicht. Oder dem klopfenden Schwarzkäfer Tok-Tokkie. Ein Kreis, den ein vom Wind bewegter Grashalm in den Untergrund spurte. Riesenameisen auf ihrem Weg zum körnigen Grat. „Mine is the sunlight, mine is the morning…“

Impressionen aus der Namib-Wüste, irgendwo zwischen Sesriem und Solitaire am Rande der Naukluft-Berge.

P1080951P1080972P1080980P1090008P1090038P1090043P1090023P1080922P1090062

Drei Farben Blau

P1030519Rainer Maria Rilke: Blaue Hortensie

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschenes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragenes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.

P1000471Ingeborg Bachmann: Die blaue Stunde

Der alte Mann sagt: mein Engel, wie du willst,
wenn du nur den offenen Abend stillst
und an meinem Arm eine Weile gehst,
den Wahlspruch verlorener Linden verstehst,
die Lampen, gedunsen, betreten im Blau,
letzte Gesichter! Nur deins glänzt genau.
Tot die Bücher, entspannt die Pole der Welt,
was die dunkle Flut noch zusammenhält,
die Spange in deinem Haar scheidet aus.
Ohne Aufenthalt Windzug in meinem Haus.
Mondpfiff – dann auf freier Strecke der Sprung,
die Liebe geschleift von Erinnerung.

Der junge Mann fragt: und wirst du auch immer?
Schwör’s bei den Schatten in meinem Zimmer,
und ist der Lindenspruch dunkel und wahr,
sag ihn her mit Blüten und öffne dein Haar,
und den Puls der Nacht, die verströmen will!
Dann ein Mondsignal, und der Wind steht still.
Gesellig die Lampen im blauen Licht,
bis der Raum mit der vagen Stunde bricht,
unter sanften Bissen dein Mund einkehrt
bei meinem Mund, bis dich Schmerz belehrt:
lebendig das Wort, das die Welt gewinnt,
ausspielt und verliert, und Liebe beginnt.

Das Mädchen schweigt bis die Spindel sich dreht.
Sterntaler fällt. Die Zeit der Rosen vergeht:
ihr Herren, gebt mir das Schwert in die Hand,
und Jeanne d’Arc rettet das Vaterland.
Leute wir bringen das Schiff durch’s Eis,
ich halte den Kurs, den keiner mehr weiß.
Kaufe Anemonen! Drei Wünsche das Bund,
die schließen vorm Hauch eines Wunsches den Mund.
Vom hohen Trapez im Zirkuszelt
spring ich durch den Feuerreifen der Welt,
ich gebe mich in die Hand meines Herrn,
und er schickt mir gnädig den Abendstern.

DSC_0030

Christian Morgenstern: Zäzilie

Zäzilie soll die Fenster putzen,
sich selbst zum Gram, jedoch dem Haus zum Nutzen.

„Durch meine Fenster muss man“, spricht die Frau,
„so durchsehn können, dass man nicht genau,
erkennen kann, ob dieser Fenster Glas
Glas oder bloße Luft ist. Merk dir das.“
Zäzilie ringt mit allen Menschen-Waffen …
Doch Ähnlichkeit mit Luft ist nicht zu schaffen.
Zuletzt ermannt sie sich mit einem Schrei –
und schlägt die Fenster allesamt entzwei!
Dann säubert sie die Rahmen von den Resten,
und ohne Zweifel ist es so am besten.
Sogar die Dame spricht zunächst verdutzt:
„So hat Zäzilie ja noch nie geputzt!“

Doch alsobald ersieht man, was geschehn,
und sagt einstimmig: „Diese Magd muss gehn!“

Ein Jahr 2015 voller Leben und Zäzilie-klaren Aus- und Einsichten wünsche ich. Möge es sich immer wieder sehnsuchtsvoll verblauen und „verneuen“!