Oft weiß ich ganz genau: Ich … war … einmal; Ich habe schon einmal all dies gesehn; Der Baum vor meinem Fenster rauschte mir Ganz so wie jetzt vor tausend Jahren schon; All dieser Schmerz, all diese Lust ist nur Ein Nochmals, Immerwieder, Spiegelung Durch Raum und Zeit. – Wie sonderbar das ist: Ein Fließen, Sinken, Untertauchen und Ein neu Empor im gleichen Strome: Ich Und immer wieder ich: Ich … war … einmal.
Otto Julius Bierbaum (1865-1910): Ich … war … einmal
Die Herzschläge nicht zählen Delfine tanzen lassen Länder aufstöbern Aus Worten Welten rufen horchen was Bach zu sagen hat Tolstoi bewundern sich freuen trauern höher leben tiefer leben noch und noch Nicht fertig werden
Rose Ausländer: Nicht fertig werden
Selten hat mich ein Gedicht so punktgenau erreicht wie diese Zeilen von Rose Ausländer. Ja, das wünsche ich mir für das neue Jahr: Die Herzschläge nicht zählen, überhaupt nicht so viel zählen und wägen, sondern leben, mit allen Fasern. Delfine habe ich schon mal tanzen lassen. Das war auf einer Kajaktour durch den Doubtful Sound im Süden Neuseelands. Wie aus dem Nichts sprang ein Dutzend der kecken Gesellen um und über unser Boot und forderte meinen Partner und mich zum Spiel. Wir paddelten wie die Verrrückten, um mitzuhalten. Eigentlich haben also nicht wir die Delfine sondern die Delfine uns tanzen lassen… Zwanzig Jahre ist das nun schon her, aber die pure Freude, die ich damals empfand, wird mich bis ans Ende aller Herzschläge begleiten. Irgendwann werde ich wieder Länder aufstöbern. Was für ein großartiges Bild! Und bis dahin rufe ich mir aus Worten Welten. Aus Büchern, aus Gesprächen. Ich werde lauschen, werde bewundern und staunen. Ich werde mich freuen, wenn es Zeit ist mich zu freuen, und trauern, wenn es Zeit ist zu trauern. Beides wird mir helfen, höher und zugleich tiefer zu leben. Aufrechter. Bewusster. Noch und noch. Und ich weiß, ich werde nicht fertig werden. Und das ist genau richtig so.