lieber meer als weniger

So hab ich das Meer gern:
weit offen, wie ein Spiegel, und zum Horizont in hängende Wolken sich verrinnend …
die Sonne hinter feinen leisen Schleiern und Luft und See in blaßblau-lichtem Schein und Schiller …
schwermütig ernst und lachend heiter,
zutraulich lieb und unnahbar,
in unbekümmert freier Größe und nie entweihter Ewigkeit … lautlos … in unlotbaren Tiefen die Wunder hütend seiner Gotteskraft …
und Strand entlang mit frohen Wellen spielend
schwermütig ernst und lachend heiter,
den Menschenkindern, die da stehen, das kleine Herz voll großer Sehnsucht, bunte Köstlichkeiten vor die Füße tragend …
So … sei! … So … schaffe!

Cäsar Otto Hugo Flaischlen: Das Meer

Mit wehendem Haar

Wenn einer fortgeht, muss er den Hut
mit den Muscheln, die er sommerüber
gesammelt hat, ins Meer werfen
und fahren mit wehendem Haar,

er muss den Tisch, den er seiner Liebe
deckte, ins Meer stürzen,
er muss den Rest des Weins,
der im Glas blieb, ins Meer schütten,

er muss den Fischen sein Brot geben
und einen Tropfen Blut ins Meer mischen,
er muss sein Messer gut in die Wellen treiben
und seinen Schuh versenken,
Herz, Anker und Kreuz,
und fahren mit wehendem Haar!

Dann wird er wiederkommen.
Wann?
Frag nicht.

Ingeborg Bachmann: Lieder von einer Insel

Es war ein Tag, an dem die Jahreszeiten miteinander rangen. Im frischen Morgenwind umflügelten Schwäne zart den eigenen Kopf. Nixen räkelten den smaragdgrünen Leib auf nieselfeuchten Steinen, die mählich in der Sonne trockneten. Weit ging der Blick hinaus aufs Meer und zugleich tief ins Innere. Die alte Eule lächelte wissend.

Vom Finden

„… und nichts zu suchen, das war mein Sinn…“, als ich für ein paar Tage an die Ostsee fuhr. Es sind bisweilen dies die Momente, die die schönsten Geschenke bereithalten.

Weite und Wellenrauschen.

Blüten im Sand.

Gefallene Engel.

Ostseejade und Hühnergötter.

Neue Wege.

Himmlische Dramen.

Lustvolles Spiel.

Und immer: Weite und Wellenrauschen.

Spaziergang am Meer

Der Himmel leuchtet aus dem Meer;
ich geh und leuchte still wie er.

Und viele Menschen gehn wie ich,
sie leuchten alle still für sich.

Zuweilen scheint nur Licht zu gehn
und durch die Stille hinzuwehn.

Ein Lüftchen haucht den Strand entlang:
o wundervoller Müßiggang.

Richard Dehmel: Klarer Tag

Wir gehen am Meer im tiefen Sand,
Die Schritte schwer und Hand in Hand.
Das Meer geht ungeheuer mit,
Wir werden kleiner mit jedem Schritt.
Wir werden endlich winzig klein
Und treten in eine Muschel ein.
Hier wollen wir tief wie Perlen ruhn,
Und werden stets schöner, wie die Perlen tun.

Max Dauthendey: Wir gehen am Meer im tiefen Sand

So groß ist die Sehnsucht nach Weite, mag einem der unendliche Himmel getrost auf den Kopf fallen.

… und nichts mehr wollen wollen
nur Meer

nur Meer

Erich Fried: Meer (Auszug)

Die Fotos habe ich von einem Ausflug an die Nordsee mitgebracht. Über zwölf Kilometer lang und bei Ebbe bis zu zwei Kilometer breit ist der Strand von St. Peter-Ording auf der Halbinsel Eiderstedt. Wer lange genug geht, hat die herrliche Landschaft eine Weile ganz für sich.

Eben noch Sommer

Wie eine Welle, die vom Schaum gekränzt
Aus blauer Flut sich voll Verlangen reckt
Und müd und schön im großen Meer verglänzt –

Wie eine Wolke, die im leisen Wind
Hinsegelnd aller Pilger Sehnsucht weckt
Und blass und silbern in den Tag verrinnt –

Und wie ein Lied am heißen Straßenrand
Fremdtönig klingt mit wunderlichem Reim
Und dir das Herz entführt weit über Land –

So weht mein Leben flüchtig durch die Zeit,
Ist bald vertönt und mündet doch geheim
Ins Reich der Sehnsucht und der Ewigkeit

Hermann Hesse: Wie eine Welle

Moments and memories

Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern,
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Keine Frage
von Menschenlippen
fordert Antwort.
Keine Rede
noch Gegenrede
macht dich gemein.
Nur mit Himmel und Erde
hältst du
einsame Zwiesprach.
Und am liebsten
befreist du
dein stilles Glück,
dein stilles Weh
in wortlosen Liedern.

Wie ist dir nun,
meine Seele? Von allen Märkten
des Lebens fern
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Christian Morgenstern: Am Meer

Meeresgrund und Horizont

Wenn man die kleine schwarze Schnecke sanft zwischen Daumen und Zeigefinger schaukelt, schaut sie aus ihrem Gehäuse heraus. Sie glaubt, was sich da bewegt, sei das Meer, das ihr Nahrung schenkt, erzählt Roman, der gerade sein freiwilliges ökologisches Jahr auf Langeneß macht. Ob es die gleiche Schnecke ist, die mit zwei Stundenkilometern auf ihrem eigenen Schleim im Meer surft, habe ich mir in meiner Begeisterung nicht gemerkt. Natürlich sucht die Schnecke nicht zum Spaß nach der perfekten Welle. Nach ihrem kühnen Ritt saugt sie den Schleim wieder ein – und mit ihm die Nahrungspartikel aus dem Wasser.

Das Watt ist voller Zauber. Sind das da vorn tatsächlich Baumstämme und Stubben? Wir mögen unseren Augen kaum trauen. Roman nickt. Auf dem Meeresboden nördlich von Langeneß gibt es einen ganzen „Wald“. 3000 Jahre alt sollen die erst vor wenigen Jahren frei gespülten Zeugen einer längst versunkenen Welt sein. Wie mag sie ausgesehen haben, diese andere Welt? Wer ging damals, wo wir jetzt gehen? Tief in Gedanken schlickern wir durchs Watt, die Warften mit ihren niedrigen Häusern nur eine ferne Ahnung, einer Fata Morgana nicht unähnlich.

Platt ist das Watt. An Land ist es kaum weniger flach. Das ist praktisch. So weiß man schon am Montag, wer Sonntagnachmittag zum Kaffee kommt. Aber das weiß man als Halligbewohner vermutlich ohnehin. 124 Menschen leben zurzeit auf Langeneß, der größten der nur mit einem Damm aus aufeinander geschichteten Steinen geschützten Marschinseln vor der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. 124 Menschen, darunter eine Junggesellin und sechs Junggesellen. Zum Glück entscheidet sich ab und zu mal eine TouristIn zu bleiben. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei…

Dein Nachbar kennt dich besser als du dich selbst“, sagt Melk. Das muss man mögen. Melk, so scheint es, tut das. Der Enddreißiger ist nach langen Jahren auf der Insel Föhr auf die Heimat-Hallig zurückgekehrt. Mit nordisch-sprödem Charme führt er uns durch das kleine Museum auf der Ketelswarf(t). Außerdem ist er Fahrer des einzigen Halligtaxis, Rettungssanitäter und Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Wer irgendwo einen verwaisten Seehund sichtet, ruft Melk an. Und im Sommer weiden auf seinen 17 Hektar Salzwiesen 23 Stück Rindvieh. Im Winter kehren sie aufs Festland zurück. Da ist zu häufig Land unter auf der Hallig. Bis zu 20 Mal im Jahr wird Langeneß, das nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegt, bei starken Fluten überspült, vor allem im Winterhalbjahr. Nur die Warften, die künstlich aufgeschütteten Hügel, auf denen die Häuser stehen, ragen dann noch aus dem Wasser.

P.S. Hier war es in den vergangenen Monaten still. Das soll sich jetzt wieder ändern. Mit etwas reduzierter Schlagzahl vielleicht. Herzliche Spätsommergrüße!