lieber meer als weniger

So hab ich das Meer gern:
weit offen, wie ein Spiegel, und zum Horizont in hängende Wolken sich verrinnend …
die Sonne hinter feinen leisen Schleiern und Luft und See in blaßblau-lichtem Schein und Schiller …
schwermütig ernst und lachend heiter,
zutraulich lieb und unnahbar,
in unbekümmert freier Größe und nie entweihter Ewigkeit … lautlos … in unlotbaren Tiefen die Wunder hütend seiner Gotteskraft …
und Strand entlang mit frohen Wellen spielend
schwermütig ernst und lachend heiter,
den Menschenkindern, die da stehen, das kleine Herz voll großer Sehnsucht, bunte Köstlichkeiten vor die Füße tragend …
So … sei! … So … schaffe!

Cäsar Otto Hugo Flaischlen: Das Meer

Spaziergang am Meer

Der Himmel leuchtet aus dem Meer;
ich geh und leuchte still wie er.

Und viele Menschen gehn wie ich,
sie leuchten alle still für sich.

Zuweilen scheint nur Licht zu gehn
und durch die Stille hinzuwehn.

Ein Lüftchen haucht den Strand entlang:
o wundervoller Müßiggang.

Richard Dehmel: Klarer Tag

Wir gehen am Meer im tiefen Sand,
Die Schritte schwer und Hand in Hand.
Das Meer geht ungeheuer mit,
Wir werden kleiner mit jedem Schritt.
Wir werden endlich winzig klein
Und treten in eine Muschel ein.
Hier wollen wir tief wie Perlen ruhn,
Und werden stets schöner, wie die Perlen tun.

Max Dauthendey: Wir gehen am Meer im tiefen Sand

So groß ist die Sehnsucht nach Weite, mag einem der unendliche Himmel getrost auf den Kopf fallen.

… und nichts mehr wollen wollen
nur Meer

nur Meer

Erich Fried: Meer (Auszug)

Die Fotos habe ich von einem Ausflug an die Nordsee mitgebracht. Über zwölf Kilometer lang und bei Ebbe bis zu zwei Kilometer breit ist der Strand von St. Peter-Ording auf der Halbinsel Eiderstedt. Wer lange genug geht, hat die herrliche Landschaft eine Weile ganz für sich.

Spiel mit dem Feuer

Gegensätze ziehen sich an. Das ist in Nordfriesland offenbar nicht anders als in anderen Regionen. So kam es, dass das priesterlich-majestätische Violett und das saftig-fruchtige Orange zuerst jeweils sich selbst ein Herz und sodann einander bei den Händen fassten und munter in die Pfützen sprangen, die das abgelaufene Wasser vor der Halbinsel Nordstrand hinterlassen hatte. Dort tollten die beiden eine Weile mit leuchtenden Bäckchen herum, bis sie sich – ermattet von ihrem beinahe schon komplementären Spiel – zur Ruhe begaben. Nur ein paar einsame Deichläufer und eine Herde Schafe sahen zu.

Moments and memories

Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern,
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Keine Frage
von Menschenlippen
fordert Antwort.
Keine Rede
noch Gegenrede
macht dich gemein.
Nur mit Himmel und Erde
hältst du
einsame Zwiesprach.
Und am liebsten
befreist du
dein stilles Glück,
dein stilles Weh
in wortlosen Liedern.

Wie ist dir nun,
meine Seele? Von allen Märkten
des Lebens fern
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Christian Morgenstern: Am Meer

Meeresgrund und Horizont

Wenn man die kleine schwarze Schnecke sanft zwischen Daumen und Zeigefinger schaukelt, schaut sie aus ihrem Gehäuse heraus. Sie glaubt, was sich da bewegt, sei das Meer, das ihr Nahrung schenkt, erzählt Roman, der gerade sein freiwilliges ökologisches Jahr auf Langeneß macht. Ob es die gleiche Schnecke ist, die mit zwei Stundenkilometern auf ihrem eigenen Schleim im Meer surft, habe ich mir in meiner Begeisterung nicht gemerkt. Natürlich sucht die Schnecke nicht zum Spaß nach der perfekten Welle. Nach ihrem kühnen Ritt saugt sie den Schleim wieder ein – und mit ihm die Nahrungspartikel aus dem Wasser.

Das Watt ist voller Zauber. Sind das da vorn tatsächlich Baumstämme und Stubben? Wir mögen unseren Augen kaum trauen. Roman nickt. Auf dem Meeresboden nördlich von Langeneß gibt es einen ganzen „Wald“. 3000 Jahre alt sollen die erst vor wenigen Jahren frei gespülten Zeugen einer längst versunkenen Welt sein. Wie mag sie ausgesehen haben, diese andere Welt? Wer ging damals, wo wir jetzt gehen? Tief in Gedanken schlickern wir durchs Watt, die Warften mit ihren niedrigen Häusern nur eine ferne Ahnung, einer Fata Morgana nicht unähnlich.

Platt ist das Watt. An Land ist es kaum weniger flach. Das ist praktisch. So weiß man schon am Montag, wer Sonntagnachmittag zum Kaffee kommt. Aber das weiß man als Halligbewohner vermutlich ohnehin. 124 Menschen leben zurzeit auf Langeneß, der größten der nur mit einem Damm aus aufeinander geschichteten Steinen geschützten Marschinseln vor der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. 124 Menschen, darunter eine Junggesellin und sechs Junggesellen. Zum Glück entscheidet sich ab und zu mal eine TouristIn zu bleiben. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei…

Dein Nachbar kennt dich besser als du dich selbst“, sagt Melk. Das muss man mögen. Melk, so scheint es, tut das. Der Enddreißiger ist nach langen Jahren auf der Insel Föhr auf die Heimat-Hallig zurückgekehrt. Mit nordisch-sprödem Charme führt er uns durch das kleine Museum auf der Ketelswarf(t). Außerdem ist er Fahrer des einzigen Halligtaxis, Rettungssanitäter und Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Wer irgendwo einen verwaisten Seehund sichtet, ruft Melk an. Und im Sommer weiden auf seinen 17 Hektar Salzwiesen 23 Stück Rindvieh. Im Winter kehren sie aufs Festland zurück. Da ist zu häufig Land unter auf der Hallig. Bis zu 20 Mal im Jahr wird Langeneß, das nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegt, bei starken Fluten überspült, vor allem im Winterhalbjahr. Nur die Warften, die künstlich aufgeschütteten Hügel, auf denen die Häuser stehen, ragen dann noch aus dem Wasser.

P.S. Hier war es in den vergangenen Monaten still. Das soll sich jetzt wieder ändern. Mit etwas reduzierter Schlagzahl vielleicht. Herzliche Spätsommergrüße!  

Nordisch by nature

P1150606Hier ist ja nichts! Das Gesicht der älteren Berlinerin ist eine Mischung aus Staunen und Entsetzen, der Vorwurf in ihrer Stimme nicht zu überhören. Kein Wasser, sagt sie. Noch nicht mal Strand. Wann immer sie über den Deich geschaut habe, sei das so gewesen, nun schon den dritten Tag.

P1150577Der Deich, das ist die Trennlinie. Mit jedem Schritt den grünen Wall hinauf wird der Wind stärker. Sobald du oben stehst und dir die flatternden Haare aus dem Gesicht streichst, gibt es keine Grenzen mehr. So weit reicht der Blick, dass du meinst, die Krümmung der Erdoberfläche zu sehen.

P1150643Das ist’s, was mich hier so entzückt:
Diese unbedingte Weite,
dieser Horizont in Tief‘ und Breite
verschwenderisch hinausgerückt.

Christian Morgenstern: Weiter Horizont

P1150802Was du siehst, erscheint dir vielleicht nicht spektakulär. Links viele Kilometer Deich. Rechts viele Kilometer Deich. Vor dir ein paar Strandkörbe. Oder Schafe. Dahinter die Nordsee. Kann sein, sie ist gerade wieder einmal nicht da und du erkennst nur so ein schmales Geriffel weit draußen.

P1150677Und mittendrin Neptuns Schloss, das eigentlich eine Bohrinsel ist.

P1150615Zwischen Salzwiesen und Watt führt ein steinerner Damm hinaus aufs offene Meer. Und während ein vielstimmiger Vogelchor sogar den Wind übertönt, wird dein Atem allmählich tief und ruhig.

P1150581Es schmückt sich das Watt in den Farben des Himmels. Zuerst in allerlei Grau- und Blautönen.

P1150665Später am Nachmittag glitzert es in silberner Robe. Das ist die Zeit, in der ein Spaziergang Richtung Horizont besonders magisch ist.

P1150823Marie! ruft ein junger Vater seiner kleinen Tochter zu. Weißt du, was das Besondere ist: Wir laufen auf dem Meeresboden! Marie ist das egal. Ihr Himmel ist schlammfarben. Beseeligt vom Schmatzen des Schlicks unter ihren nackten Füßchen gräbt sie mit beiden Händen nach Muscheln und Wattwürmern.

P1150725Am Abend glüht das menschenleere Watt noch einmal in Orange, Rot und Rosé, bevor es erlischt.

P1150738Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmerung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen –
So war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.

Theodor Storm: Meeresstrand

P1150884

Vom Südkap bis Sansibar

P1060678Hui, ist das ein Wetterchen! Schneeregen klatscht mir ins Gesicht, während sich die Brandung gierig in den Sand frißt. Wer hier länger stehen bleibt, riskiert, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

P1060684Zornigen Meeres Gesang –
Sturm auf dem Meer und Gedanken,
Viele Gedanken, so bang –
Sturm auf dem Meer und Gedanken…

Auszug aus einem Gedicht von Afanassi Afanassjewitsch Fet (1820 – 1892)

P1060703Ob das Meer wirklich zornig ist? Wahrscheinlich ist es einfach seine Natur, dann und wann nach Herzenslust zu toben. Und wo wir schon dabei sind: Meine Gedanken sind auch weniger bang als – elementar, während ich die Sylter Südspitze umrunde und Kurs Richtung Norden nehme. Aber schön sind sie doch, die Worte dieses Russen, der Goethe und Schopenhauer in seine Sprache übersetzte.

P1060691Das Schneegrieseln ist inzwischen stetem Hagel gewichen, der aber zum Glück von hinten auf die Allwettermontur prasselt, die gerade die vierte Jahreszeit in vier Tagen erlebt. Die Wellen brechen sich an einer Formation bizarrer Betonkegel, die wie von Riesenhand auf den Strand gestreut scheinen, während sich Reetdachhäuser und sogar der Hörnumer Leuchtturm hinter den Dünen ducken.

P1060704Ein paar Stunden und etliche Kilometer später – der Himmel über dem Meer verdüstert sich gerade wieder einmal anthrazitfarben -, macht das erschöpfte Auge eine Fahne im Wind aus. Der erste Buchstabe sieht aus wie ein S. Die Sansibar! Dich schickt der Himmel!

P1060709Und während ich frischen heißen Minzetee schlürfe und den Weltuntergang direkt hinter dem Fenster genieße, mag der geschätze Christian Morgenstern von Sylt-Rantum schwärmen:

Weil ich nur dieses Donnern wieder höre
dies Mahlen einer ungeheuren Mühle,
weil ich nur diesen Flugsand wieder fühle
und dieser Möwen Ruhe wieder störe…

Sandstrahlpeeling

P1060661Nach vorfrühlingshaftem Nieselregen und beinah schon frühsommerlich-lauen Lüften fegt zur Abwechslung ein veritabler Herbststurm über die Insel. Hu, welch eine Kraft! Die Schirmmütze bis zum oberen Brillenrand herunter- und den Schal bis über die Nasenspitze heraufgezogen traue ich mich mitten hinein in die Sandwehen. Ein Gefühl wie in der Wüste, nur wesentlich lauter. Mit gesenktem Haupt und vorgebeugtem Oberkörper stapfe ich langsam aber stetig auf die horizontale Gewalt zu, während das Gros der wenigen Strandgänger mit dem Naturturbo im Rücken in die entgegengesetzte Richtung trudelt.

Ich glaube, es war an diesem Tag, dass der ältere Herr in der Hotellobby in der Manier älterer Herren witzelte: Ein paar Tage Urlaub im Sylter Reizklima, und seine Frau hätte einen Teint wie ein Babypopo, ganz ohne die teuren Kosmetika.