
Gedanken auf Null

Einatmen. Ausatmen

Ganz still sein. Weit werden

Nur Augen und Ohren

Und Haut. Sommer am Meer

Gedanken auf Null
Einatmen. Ausatmen
Ganz still sein. Weit werden
Nur Augen und Ohren
Und Haut. Sommer am Meer
Beim Aufräumen stieß sie auf längst vergessene Kinogutscheine. Ein Geschenk des allerbesten guten Freundes, der nun schon so lange fehlte. Die junge Frau an der Kasse lächelte: „Kein Problem. Bei uns verfallen die Gutscheine nicht.“ Als sie den großen Saal betrat, war sie allein. Um sie herum ein Meer aus rotem Samt. Es kamen dann noch vier andere. Schauten sich um. Wählten ruhig und bestimmt ihren Platz. Kein Husten. Kein Rascheln. Kein Popcorn. „Zeit für Stille“. Eineinhalb Stunden lang.
Anderntags tauschte sie einen weiteren vergessenen Gutschein ein. Für Weite dieses Mal: „Die Geschichte von einem Weg um die Welt“. Seltsamerweise fühlte sich das kleine Kino kein bisschen eng an. Dreieinhalb Jahre war das sympathische Paar aus dem Schwarzwald unter-weg-s. Dreieinhalb Jahre Begegnungen mit anderen Menschen und Kulturen. Dreieinhalb Jahre Begegnungen mit sich selbst und der eigenen Herkunft.
Während sie durch die gar nicht stille regennasse Stadt nach Hause stapfte, dachte sie an eigene Wege, an eigene Begegnungen in der Welt. Dachte an den allerbesten guten Freund. Und an den alten Kämpfer und die alte Königin in ihrem Exil, die immer da gewesen waren, wenn auch zuletzt immer weniger. In letzter Zeit hatte sie nicht oft das Gefühl, dass alles gut war, wie es war. Für einen Moment war so ein Moment.
Die Welt tötet uns durch Betriebsamkeit, die Wüste belebt uns durch Stille.
Ibrahim al-Koni: Meine Wüste
Unser Blick beruhigt sich an den einfachen Formen von Sand, Felsen und Himmel. Wir durchwandern einen Raum, dessen karge Einfachheit mit keinem der uns vertrauten Lebensräume vergleichbar ist. Nichts, was den Blick ablenkt, keine flackernden Bilder, keine hektisch wechselnden Szenarien, niemand, der etwas von uns fordert, außer wir von uns selbst. Nur das grell strahlende Blau des Himmels über uns, nur Sand oder Stein unter unseren Füßen. Nur die gleichförmige Weite, deren überwältigende Schönheit in ihrer Einfachheit begründet ist. Eine Einfachheit, deren Erhabenheit uns in staunendes Schweigen versetzt. Und unser Schweigen entspricht dem Atem der Wüste. Die Stille umfängt uns – anfangs vielleicht bedrohlich, dann aber sickert sie ein in unsere Seele und lässt sie schließlich im Gleichklang schwingen mit der Weite und Ruhe der Landschaft.
Jürgen Werner: Wüstenwandern
Vollkommenheit entsteht so offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.
Antoine de Saint-Exupéry: Wind, Sand und Sterne
Kein Mensch kann in der Wüste leben und davon unberührt bleiben. Er wird fortan, wenn vielleicht auch kaum merklich, das Zeichen der Wüste, das Zeichen des Nomaden tragen; und er wird immer, je nach Veranlagung, leises oder brennendes Heimweh nach jenem Leben verspüren. Denn dieses unerbittliche Land übt einen Zauber aus, dem ein gemäßigtes Klima nichts entgegenzusetzen hat.
Wilfred Thesinger: Die Brunnen der Wüste
Für die Grübler in den Städten ist der Drang in die Öde stets unwiderstehlich gewesen, wohl nicht, weil sie dort Gott fanden, sondern weil sie in der Einsamkeit mit größerer Klarheit die lebendige Stimme hörten, die sie in sich trugen.
T.E. Lawrence: Die sieben Säulen der Weisheit
Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein Stück Wüste.
Sven Hedin: Durch Asiens Wüsten
und weil einem in der wüste nichts gehört, gehört einem alles.
otl aicher: gehen in der wüste
Mein schönstes Gedicht?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.
Mascha Kaléko: Mein schönstes Gedicht
Halten
dein Haar mit zwei Fingern
deine Schultern – dein Knie – deinen Fuß
Sonst nichts mehr halten
keinen Trumpf – keine Reden
keinen Stecken und Stab und keine Münze im Mund
Erich Fried: Halten (Auszug)
Wenn dir das noch nicht still genug ist, folgst du vielleicht für einen Moment dem berühmtem Stück 4’33 des amerikanischen Komponisten John Cage. Spürst all den Geräuschen nach, die plötzlich hörbar werden, weil die Musik fehlt. Lauschst dem stillen Lied, das jederzeit Form annehmen könnte. Es ist ja alles bereit.
Suche die Stille – in der Natur, in einer Bibliothek oder einer Kirche.
(unbekannter Verfasser)
Horche auf das, was man hört,
wenn man nichts mehr vernimmt.
(Paul Valéry)
Es gibt eine Stille, in der man meint, man müsse die einzelnen Minuten hören, wie sie in den Ozean der Ewigkeit hinuntertropfen.
(Adalbert Stifter)
Wer die Stille ertragen kann, ist niemals allein.
(unbekannter Verfasser)
Die Fotos, mit Ausnahme des letzten, sind in den Felsenkirchen im äthiopischen Lalibela entstanden, von denen ich hier schon erzählt habe.
Allen, die hier vorbeischauen, lesen, Bilder betrachten und ihre Gedanken dalassen, ein herzliches Dankeschön für euer und Ihr Interesse, schöne Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr – möge es uns immer wieder Momente der Stille und inneren Einkehr schenken!
Ocker. Bernstein. Honiggelb. Gold. Purpur. Rosa. Zimt. Orange. Ziegel- und Zinnoberrot… So viele Farben hat die Wüste. Und nur eine Stille.
Das warme Licht des Spätnachmittags, wenn die Hitze des Tages allmählich ihren Griff lockert. Der sanfte Wind, der über das silbrig-gelbe Savannengras streicht. Und ein Himmel in Azur.
Das Verlöschen des Tages und dieses einzigartige Licht, wenn die Sonne schon untergegangen ist, in dem sich noch einmal alle Farben der Wüste spiegeln. Langsam genug, dass sich die Bilder in die Seele einbrennen können.
Dann ist es dunkel. Aber doch nie ganz. Weit spannt der gigantische Sternenhimmel der Südhalbkugel sein Dach über die Dünen. Das Kreuz des Südens. Zum Greifen nah.
Eine Weile noch wispern zwei in ihren Schlafrollen unter dem Kameldornbaum. Endlich ist nichts mehr als Stille zu hören. Eine Stille, die ganz erfüllt. Stille.
„Es gibt ein Vergessen alles Daseins, ein Verstummen unseres Wesens, wo uns ist, als hätten wir alles gefunden.“ (Friedrich Hölderlin in: Hyperion oder der Eremit in Griechenland)
Der Zauber der frühen Stunde. „Morning has broken like the first morning…” Kein Amsel-Singen wie am ersten Tag, aber das riesige Gemeinschaftsnest der Siedelweber wird sicher auch an diesem Tag noch ein Stück größer werden.
Spuren im Sand. Von einem Gecko vielleicht. Oder dem klopfenden Schwarzkäfer Tok-Tokkie. Ein Kreis, den ein vom Wind bewegter Grashalm in den Untergrund spurte. Riesenameisen auf ihrem Weg zum körnigen Grat. „Mine is the sunlight, mine is the morning…“
Impressionen aus der Namib-Wüste, irgendwo zwischen Sesriem und Solitaire am Rande der Naukluft-Berge.
Manchmal scheint, beinahe überraschend, für einen Moment die Zeit still zu stehen:
wenn die Oberbaumbrücke in spätherbstliches Gegenlicht getaucht ist zum Beispiel,
wenn auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof Grabsteine mit Birken verschmelzen,
wenn zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals gerade einmal niemand Verstecken spielt
und sich auch auf dem Gendarmenmarkt die allgegenwärtigen Unterschriftensammler trollen.
Mit diesen Impressionen endet meine kleine Berlin-Reihe. Eine schöne neue Woche euch allen!
Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen – :
Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.
Rainer Maria Rilke