Einer geht noch!

In der Lübecker Bucht sprangen die Strandampeln auf der Internetseite strandticker.de reihenweise auf Rot. In einigen Badeorten mussten schon am Freitag Zugänge an die Ostsee wegen Überfüllung gesperrt werden. Zeitweilig ging nichts mehr an diesem knallheißen Wochenende in Timmendorfer Strand, Scharbeutz & Co. Warum nur, frage ich mich nicht zum ersten Mal, wollen die Menschen eigentlich immer genau dort hin, wo alle anderen auch hin wollen bzw. schon sind?

Wo es doch so wunderbare Alternativen gibt. Die vielen Seen im Herzogtum Lauenburg im Südosten von Schleswig-Holstein zum Beispiel. In der eiszeitlich geformten Hügellandschaft konnten sich Flora und Fauna im Schatten der innerdeutschen Grenze nahezu ungestört entwickeln.

So ein bisschen unter dem Radar geblieben ist die Gegend bis heute. Auch ich hatte fast vergessen, wie schön es dort ist – bis mich Stefanie mit einem Beitrag auf ihrem Blog „In der Nähe bleiben“ daran erinnerte. Danke Stefanie! In aller Ruhe lässt es sich in der Region wandern, baden oder einfach nur sein – selbst an einem Hochsommerwochenende im August.

Ich habe vom Waldparkplatz an der Nordseite des Schmalsees, also praktisch von der Eulenspiegel-Stadt Mölln aus eine große Runde um Schmalsee, Lütauer See, Drüsensee und das Hellbachtal mit Krebssee, Lottsee und Schwarzsee gedreht. Einer geht noch, dachte ich ein ums andere Mal, zumal die Bäume reichlich Schatten spendeten und an kühlem Nass für die qualmenden Füße ja auch kein Mangel bestand.

Den Badeanzug hatte ich blöderweise im Auto gelassen, so dass ich leider keinen Badevergleich zwischen den verschiedenen Seen bieten kann. Der Schmalsee am Spätnachmittag, so viel immerhin kann ich sagen, ist ein Gedicht, das Wasser so weich wie das Licht, das allmählich die Strenge des Tages verliert.

Vom Südkap bis Sansibar

P1060678Hui, ist das ein Wetterchen! Schneeregen klatscht mir ins Gesicht, während sich die Brandung gierig in den Sand frißt. Wer hier länger stehen bleibt, riskiert, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

P1060684Zornigen Meeres Gesang –
Sturm auf dem Meer und Gedanken,
Viele Gedanken, so bang –
Sturm auf dem Meer und Gedanken…

Auszug aus einem Gedicht von Afanassi Afanassjewitsch Fet (1820 – 1892)

P1060703Ob das Meer wirklich zornig ist? Wahrscheinlich ist es einfach seine Natur, dann und wann nach Herzenslust zu toben. Und wo wir schon dabei sind: Meine Gedanken sind auch weniger bang als – elementar, während ich die Sylter Südspitze umrunde und Kurs Richtung Norden nehme. Aber schön sind sie doch, die Worte dieses Russen, der Goethe und Schopenhauer in seine Sprache übersetzte.

P1060691Das Schneegrieseln ist inzwischen stetem Hagel gewichen, der aber zum Glück von hinten auf die Allwettermontur prasselt, die gerade die vierte Jahreszeit in vier Tagen erlebt. Die Wellen brechen sich an einer Formation bizarrer Betonkegel, die wie von Riesenhand auf den Strand gestreut scheinen, während sich Reetdachhäuser und sogar der Hörnumer Leuchtturm hinter den Dünen ducken.

P1060704Ein paar Stunden und etliche Kilometer später – der Himmel über dem Meer verdüstert sich gerade wieder einmal anthrazitfarben -, macht das erschöpfte Auge eine Fahne im Wind aus. Der erste Buchstabe sieht aus wie ein S. Die Sansibar! Dich schickt der Himmel!

P1060709Und während ich frischen heißen Minzetee schlürfe und den Weltuntergang direkt hinter dem Fenster genieße, mag der geschätze Christian Morgenstern von Sylt-Rantum schwärmen:

Weil ich nur dieses Donnern wieder höre
dies Mahlen einer ungeheuren Mühle,
weil ich nur diesen Flugsand wieder fühle
und dieser Möwen Ruhe wieder störe…

Sandstrahlpeeling

P1060661Nach vorfrühlingshaftem Nieselregen und beinah schon frühsommerlich-lauen Lüften fegt zur Abwechslung ein veritabler Herbststurm über die Insel. Hu, welch eine Kraft! Die Schirmmütze bis zum oberen Brillenrand herunter- und den Schal bis über die Nasenspitze heraufgezogen traue ich mich mitten hinein in die Sandwehen. Ein Gefühl wie in der Wüste, nur wesentlich lauter. Mit gesenktem Haupt und vorgebeugtem Oberkörper stapfe ich langsam aber stetig auf die horizontale Gewalt zu, während das Gros der wenigen Strandgänger mit dem Naturturbo im Rücken in die entgegengesetzte Richtung trudelt.

Ich glaube, es war an diesem Tag, dass der ältere Herr in der Hotellobby in der Manier älterer Herren witzelte: Ein paar Tage Urlaub im Sylter Reizklima, und seine Frau hätte einen Teint wie ein Babypopo, ganz ohne die teuren Kosmetika.

Meditation in Gelb-Oliv

P1060504Wie gut, dass das, was die Einheimischen „kein Wind heute“ nannten, zuverlässig von hinten blies! Besonders, weil sich schon nach wenigen hundert Metern „Nur-ein-paar-Tropfen-kaum-der-Rede-wert“ bei „Kein-Wind-heute“ einhakte.

P1060506Man müsste einen Fischer fragen, wo das Meer endet und der Himmel beginnt, wie es in einem japanischen Haiku heißt. Und auch das Rote Kliff über dem Kampener Weststrand verschmilzt mit dem Gelbgrün des Strandgrases zu blassem Rosé.

P1060507Kilometer um Kilometer durch Dünen und Heide in den Norden von Sylt schärfen den Blick für jede Nuance auf der Palette zwischen Hellgelb und Olivgrün. Das linke Ohr ist mit dem Rollen der Brandung beschäftigt, von rechts dringt gelegentlich ein vorbeifahrendes Kraftfahrzeug ins Bewusstsein.

P1060511In vier, fünf Stunden begegnen mir gerade einmal zwei Spaziergänger und ein Fahrradfahrer. „Die Reichen und die Schönen“ sind offenbar zu Hause geblieben. Und die Armen und die Hässlichen auch.

P1060516Insel-Impressionen aus Deutschlands äußerstem Norden. Kein schöner Land in dieser Zeit.

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