Franz Ferdinand von Österreich-Este: „Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck“. Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892-1893. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Frank Gerbert. Wien 2013
Mit großer Entourage reiste der designierte Monarch von Österreich-Ungarn zehn Monate lang quer durch Asien, Australien und allerlei pazifische Inseln bis nach Nordamerika. 1100 Seiten umfasste sein 1895 erstmals veröffentlichtes Tagebuch, das seinen Machtanspruch und seine zukünftige Rolle in Europa unterstreichen sollte. Daraus wurde am Ende bekanntlich nichts: Erzherzog Franz Ferdinand fiel im Juni 1914 bei einem Besuch in Sarajevo einem Attentat serbischer Nationalisten zum Opfer, das im Weiteren den Ersten Weltkrieg auslöste. Ein faszinierendes Zeitzeugnis ist dieses Tagebuch einer Weltreise im ausgehenden 19. Jahrhundert aber allemal. Der Journalist Frank Gerbert hat es auf ein lesefreundliches Viertel seines ursprünglichen Umfangs gekürzt und mit einer Einleitung sowie kommentierenden Erläuterungen versehen, Text und Rechtschreibung im Übrigen aber unverändert gelassen. Originalfotografien ergänzen die Reisenotizen.
Dass einem beim Blick in Gründe und Abgründe dieser schillernden Person der Zeitgeschichte immer wieder das Messer in der Tasche aufgehen kann, sei ausdrücklich erwähnt. Der Thronfolger schießt auch unterwegs auf alles, was ihm vor die Flinte kommt, selbst auf Koalas und fliegende Fische. Unfassbare 274.899 Stück Wild soll der fanatische Jäger im Laufe seines gerade einmal 50-jährigen Lebens erlegt haben. Er ist ebenso konservativ wie katholisch, echauffiert sich über angeblich pietätlose Bestattungsrituale in Indien, schreckt aber nicht davor zurück, in Australien eigenhändig das Grab eines Häuptlings zu schänden. Auf der anderen Seite scheint ihm durchaus bewusst zu sein, welche Gräuel den Ureinwohnern von weißen Eroberern angetan wurden. Über landschaftliche Schönheiten schreibt er mit den Augen eines Romantikers, bisweilen geradezu poetisch. Sein Blick auf fremde Völker im Allgemeinen und exotische Frauen im Besonderen ist demgegenüber zumeist eurozentristisch-abfällig bis eindeutig rassistisch, was durchaus dem Zeitgeist entsprach. Über Österreich und seine Küche geht ohnehin nichts. Aber der Habsburger ist nicht nur scharfzüngig, sondern auch ein genauer Beobachter und formuliert erstaunlich bildhaft. Einige seiner Schilderungen sind sogar komisch, allerdings wohl eher unbeabsichtigt.
„Zum Glück ist das Reisetagebuch mehr als bloß ein Dokument von Rassismus und jägerischem Größenwahn“, schreibt Herausgeber Gerbert zutreffend. „Entstanden ist eine sehr sonderbare Mixtur aus Ignoranz, Vorurteil, Ideologie, originellen An- und Einsichten, respektablen Landschaftsbeschreibungen, Plädoyers für den Naturschutz sowie einem Quäntchen Selbstironie. Dass seine Aufzeichnungen so lebendig sind, liegt vielleicht auch daran, dass der Erzherzog – wiewohl intelligent – nicht besonders gebildet war und sich vor allem als Mann der Tat begriff. Statt viel zu räsonieren, stürzt er sich ins volle Leben, verkostet die ungewöhnlichsten chinesischen Speisen, probiert Opium, lässt sich tätowieren und liefert sich ein Wettschießen mit dem besten indischen Schützen.“