Man muss weggehen können
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft und wir stünden fest.
Man muss den Atem anhalten,
bis der Wind nachlässt
und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,
bis das Spiel von Licht und Schatten,
von Grün und Blau
die alten Muster zeigt
und wir zu Hause sind,
wo es auch sei,
und niedersitzen können und uns anlehnen
als sei es das Grab
unserer Mutter.
Hilde Domin: Ziehende Landschaft
Die Bäume, deren Wurzeln ich auslieh, um Hilde Domins Betrachtungen über Heimat und Fremde ein Gesicht zu geben, stehen etwas außerhalb der äthiopischen Kaiserstadt Gondar in einem Garten, der von einer starken Mauer umgeben ist. Mitten darin befindet sich ein Bassin und in dem Bassin ein Wasserschloss aus dem 17. Jahrhundert: das Bad von Kaiser Fasilidas. Das Bassin ist das ganze Jahr über leer. Nur zum Timkat-Fest, dem äthiopisch-orthodoxen Fest der Taufe Jesu im Januar, wird es gefüllt. Sobald der Bischof das Wasser geweiht hat, stürzen sich Kinder von den Bäumen am Rand hinein. Manchmal, so hörte ich, würde dabei auch ein neugieriger Japaner samt Kamera mitgerissen. Und dann ist wieder Ruhe.