Ich bin Reiterin. Nie hätte ich es für nötig befunden hinzuzufügen, was ich reite. Pferde natürlich. Je temperamentvoller, desto besser. Auf Reisen hatte ich auch schon mal Esel oder Maultiere unter dem Sattel. Die sind zwar manchmal etwas störrischer, funktionieren aber im Prinzip wie Pferde. Aber so ein Kamel…
Meine ersten Begegnungen mit dem Wüstenschiff als Reittier waren literarischer und cineastischer Natur. Karl May natürlich, Lawrence von Arabien und – besonders eindrücklich – Tschingis Aitmatows großer Roman „Ein Tag länger als ein Leben“, von dem mir vor allem jene Szenen in Erinnerung geblieben sind, in denen der alte Edige auf seinem Kamelhengst Karanar durch die Steppe der früheren Sowjet-Republik Kirgisien reitet. In einer kleinen Bahnstation ist ein Arbeiter gestorben, Edige will ihm nach alter Sitte die letzte Ehre erweisen. Nicht so einfach, denn der Weg führt mitten durch militärisch abgeschirmtes Gebiet. Von einem nahe gelegenen Kosmodrom starten mehrere Raketen. Amerikaner und Russen sind geschockt, wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Die russische Erstausgabe erschien 1981, ebenso die erste Übersetzung ins Deutsche unter dem Titel „Der Tag zieht den Jahrhundertweg“. 1990 erweiterte Aitmatow den Roman um fast ein Drittel. Wie gesagt, ich erinnere mich vor allem an das Kamel in der Steppe:
„Auf seinem Karanar thronend, ritt Schneesturm-Edige voran, wies die Richtung nach Ana-Bejit. Weit ausschreitend ging unter ihm Karanar, immer mehr sich in den Rhythmus des Marsches hineinfindend. Für einen Kenner war Karanar besonders schön beim Laufen. Der Kopf des Kamels auf dem stolz gebogenen Hals schien über Wogen dahinzugleiten, blieb fast unbeweglich, während die langen, sehnigen Beine die Luft durchschnitten, auf der Erde unermüdlich Schritt um Schritt zurücklegten. Edige saß zwischen den Höckern – fest, bequem und sicher. Er war zufrieden, dass Karanar nicht angetrieben werden musste, dass er leicht und feinfühlig die Hinweise seines Herrn befolgte.“
So rund lief es durchaus nicht immer zwischen Herr und Tier: „Er (Edige) schritt zur Koppel, wo Schneesturm-Karanar, den er von der Weide hergetrieben hatte, an der Leine stand und böse aufbrüllte. Sah man davon ab, dass Karanar zweimal wöchentlich mit der Herde zu dem Brunnen am Pumpenhaus kam, um sich satt zu trinken, so lief er fast die ganze Woche Tag und Nacht frei herum. Er gehorchte nicht mehr, der Bösewicht, und jetzt verlieh er seiner Unzufriedenheit Ausdruck; wütend riss er das scharfzahnige Maul auf, wenn er von Zeit zu Zeit losschrie: Es war die alte Geschichte – an Unfreiheit muss man sich erst wieder gewöhnen.“
Aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass der feurige Karanar ein zweihöckriges Kamel ist, ein sogenanntes Trampeltier. In Marokko waren wir mit Dromedaren unterwegs, den einhöckrigen Verwandten. Auch sie gebärdeten sich bisweilen ziemlich wild beim Aufzäumen, bleckten die Zähne und brüllten wie ein Rudel Löwen. Mehr als einmal fürchtete ich um Hände und Nacken von Ibrahim und Hamou, unseren beiden Chameliers. Mit seinem langen Hals hat ein Dromedar doch eine ganz andere Reichweite als ein Pferd.
Auf dem Hals ruht ein Kopf mit wunderbar langwimprigen Augen, aus denen das Tier wahlweise arrogant, beleidigt oder unbestimmt verschmust in die Welt schaut, als könne die ihm nun wirklich gar nichts Neues mehr bieten. Tatsächlich ist es ja auch so, dass das Kamel bereits alles hat, was es und mit ihm die Menschen in seinem Gefolge in den Wüstenregionen dieser Erde zum Überleben brauchen. Die langen Wimpern und die kleinen behaarten Ohren zum Beispiel verhindern das Eindringen von Sand und Staub. Die schlitzförmigen Nüstern schließen sich bei Sandsturm gleich ganz. Und mit seiner gespaltenen Oberlippe kann das Kamel selbst dornige Zweige abreißen und mit viel Speichel im Maul zermalmen, ohne sich zu verletzen. Knie, Ellenbogen und Brustbein sind schildförmig verdickt, um beim Sitzen die Gelenke zu schonen und die Bodenhitze von der Bauchhöhle abzuhalten. Tellerförmig gespreizte Füße verhindern das Einsinken im weichen Sand, dicke schwielige Sohlen schützen gegen scharfkantige Steine und heißen Boden. Ein Kamel kann in einer Viertelstunde 200 Liter Wasser saufen, die in mehreren Vormägen eingelagert werden und dort wochenlang zur Verfügung stehen. Es kann seine Körpertemperatur regulieren um nicht zu schwitzen und saugt überhaupt jedes Fitzelchen Flüssigkeit aus allem heraus. Selbst seine Kötel sind aufs Äußerste komprimiert und machen beim Fallen auf lehmigen Grund leichte Klackklack-Geräusche.
Wahrscheinlich fragt sich der eine oder die andere inzwischen, wie es denn nun ist, ein Dromedar zu reiten und wo genau man überhaupt sitzt. Eine Position zwischen den Höckern wie bei Schneesturm-Karanar gibt es schließlich nicht. Bei den Tieren unserer Karawane war der eine Höcker mit einem Gestell komplett umpolstert. Auf die Gestelle waren Schaumgummimatten gebunden, die uns im Lager auch als Sitzkissen und Schlafmatten dienten. Auf den solcherart ausstaffierten Dromedaren hockt man weit hinten, praktisch hinter dem Höcker. Mit mehr oder weniger weit gespreizten Beinen, abhängig von der Physiognomie des Tiers und davon, ob es neben dem Reiter noch weitere Lasten zu tragen hat, die gegebenfalls in großen Taschen zu beiden Seiten des Gestells befestigt werden. Weich sitzt es sich in jedem Fall. Und während das Wüstenschiff ausschreitet, fließt der Reiter in großen Wellen vor und zurück. Irgendwie meditativ fühlt sich das an, beinahe ein wenig entrückt, was auch an der Höhe liegen mag. Rückenmassage inklusive. Ob das jetzt reiten ist oder eher sich tragen lassen – schließlich führten Ibrahim und Hamou die Tiere am Strick – wer will das gewichten?
Ein Kamel ist kein Pferd, soviel ist sicher, aber ebenfalls äußerst faszinierend. Same same but different. Und ab jetzt träume ich davon, einmal auf einem Kamel im gestreckten Galopp den Wind zu überholen.
