Datteln in Nahost

P1010516P1010553Von der Geschichte, die uns Ali, unser Reiseleiter, im Beduinencamp am Lagerfeuer erzählte, ist mir vor allem in Erinnerung, dass einem nach dem Verzehr von roten Datteln Hörner wachsen können. Vielleicht muss man dazu aber auch eine Prinzessin sein. Um deren Gunst wirbt in einer endlosen Abfolge von Szenen der schlaue Hassan, bis er die Angebetete durch die Gabe von gelben Datteln schließlich von dem störenden Stirnschmuck befreien und ihr Herz erobern kann. Aber das ist am Ende gar nicht so wichtig. Die Szenen folgen ersichtlich keiner festen Dramaturgie, werden im Lauf der Erzählung immer bunter. Je gebannter die Zuhörer lauschen, je mehr sie über die Abenteuer des schlauen Hassan lachen, desto größer ist auch die Lust des Erzählers: Ali amüsiert sich nicht weniger als wir und schenkt uns Schleife um Schleife. Der Weg ist das Ziel. Ich folge fasziniert der eigenwilligen Spannung der Geschichte.

P1010291So ähnlich erzählt auch Salim Alafenisch, ein deutsch schreibender palästinensischer Autor mit israelischer Staatsbürgerschaft („Die acht Frauen des Großvaters“). Der hat sogar noch ein paar mehr Lebensjahre im schwarzen Ziegenhaarzelt in der Wüste verbracht als Ali, nur eben auf der anderen Seite der Grenze. Und beide hat es irgendwann nach Deutschland verschlagen… Wie nah im Nahen Osten alles beieinander liegt! Als ich am Toten Meer, dem tiefsten Punkt der Erde, 400 Meter unter dem Meeresspiegel fest auf dem Boden des Haschemitischen Königreichs Jordanien stehend, mein Handy einschaltete, erhielt ich die Mitteilung „Willkommen in Israel“. Irre, aber auch wieder nicht. Schließlich ist das Tote Meer, in dem man wegen des hohen Salzgehalts nicht untergehen kann, nur 18 Kilometer breit, und die Grenze verläuft mittendrin. Was das Schwimmgefühl angeht, bevorzuge ich übrigens das Rote Meer ganz im Süden, auf dem man nicht wie ein Korken herumdümpelt, aber immer noch (oder schon wieder) ganz nah an den Nachbarn dran ist. Links Saudi-Arabien, rechts das israelische Elat und dahinter der Sinai.P1000995

Aus Saudi-Arabien kommen auch Alis Vorfahren. Irgendwann war im Zuge irgendwelcher Auseinandersetzungen für den Stamm und seine Mitglieder kein Platz mehr im Nachbarland. Jordanien scheint immer Platz für Flüchtlinge zu haben. Über die Hälfte der rund 6,5 Millionen Einwohner stammen von Palästinensern ab, die als Flüchtlinge und Vertriebene ins Land kamen: nach dem Palästinakrieg 1948/49, nach dem Sechstagekrieg 1967 und in der Folge des Irakkriegs 1990/91. Etwa 350.000 der insgesamt 1,9 Millionen registrierten Flüchtlinge, denen Jordanien als einziges arabisches Land die Staatsbürgerschaft gewährt hat, leben nach wie vor in Flüchtlingslagern, hoffen darauf, eines Tages zurückkehren zu können. Seit 2012 schwemmt der Bürgerkrieg in Syrien einen weiteren Strom von Flüchtlingen ins Land. Ich muss zugeben: Die Zahlen beeindrucken mich zutiefst – und noch mehr, wie es gelingt, inmitten von so viel Instabilität selbst stabil zu bleiben.

Jordanien 371Als ich Freunden von meinen Reiseplänen erzählte, wurde ich mehr als einmal gefragt, ob das nicht zu gefährlich sei. Das hat sicher viel damit zu tun, dass Amman in den Medien vor allem als Stützpunkt für die Krisenberichterstattung aus den Nachbarländern wahrgenommen wird. Meine Antwort lautete und lautet: Nein, ist es nicht. Die Menschen in Jordanien habe ich als extrem freundlich und hilfsbereit erlebt, und auch dem Staat liegt die Sicherheit seiner Besucher offensichtlich am Herzen: An allen touristisch wichtigen Orten patrouilliert unauffällig die Tourist Police, wir hatten sogar die ganze Zeit unseren eigenen Polizisten dabei. Von seinem Revolver brauchte Fayez zum Glück keinen Gebrauch zu machen, aber er stand immer bereit, wenn jemand Hilfe bei steileren Auf- oder Abstiegen oder eine Hand bei der Flussquerung im Canyon brauchte.

Mir wird dieser feine junge Mann vor allem als Beispiel dafür in Erinnerung bleiben, welch hohen Stellenwert die Familie in Jordanien hat. Über die Nachricht, dass seine Schwester das Abitur bestanden hatte, war der große Bruder so glücklich, dass ihm die Tränen kamen. Ihm war das ein bisschen peinlich, wir waren entzückt – und vielleicht auch eine Spur neidisch. Ganz am Ende der Tour verriet mir Fayez noch, dass er eigentlich gern Lehrer geworden wäre, das Studium aber nicht drin sei, weil die Eltern und die sieben jüngeren Geschwister auf sein Gehalt angewiesen seien. In ein, zwei Jahren, sagte er, würde er gern heiraten und selbst eine Familie gründen. Inschallah.

P1010061Der etwas ältere Malik, unser Local Guide auf dem Trail von dem malerisch auf einem Felsplateau gelegenen Dörfchen Dana tief hinab in die gleichnamige grüne Schlucht, hat erklärtermaßen Größeres vor. Am liebsten, behauptete der Biologe, der früher in der Gegend die Schafe und Ziegen seines Vaters gehütet hat und heute Wandergruppen auf Tages- und Mehrtagestouren durch die grandiose Felslandschaft des Biosphärenreservats führt (so groß sind die Unterschiede wahrscheinlich nicht), würde er gleich vier Frauen heiraten. Aha, sagte ich. Du musst dir das wie einen Obstteller vorstellen, meinte Malik und grinste charmant: An einem Tag hast du vielleicht Lust auf einen Apfel, am nächsten eher auf eine Banane… Ja, klar. Wir lachten herzlich.

P1010076Leider hatte ich keine Gelegenheit, das Thema Obstsalat mit Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts im Land zu erörtern. Irgendwann wurde mir klar, dass ich auf dieser Reise überhaupt nur mit Männern Gespräche führte. Die Frauen bleiben im Hintergrund. Selbst in den Hotels sind die Zimmermädchen Boys – oder sie kommen von den Philippinen. Ich glaube, das würde mich reizen: Wiederzukommen und zu schauen, dass ich mehr Kontakt auch zu Frauen kriege. Aber jetzt esse ich erst einmal ein paar Datteln. Gelbe natürlich. You never know. Und demnächst erzähle ich noch ein bisschen über besondere Orte in Jordanien.

10 Kommentare zu “Datteln in Nahost

  1. Liebe Maren, ein wunderbarer erster Reiseeindruck, und schon so viel drin und erzählt von den Orten uns Menschen dort – die Geschichte mit den Datteln, Deine Überlegungen zu der Flüchtlingssituation, zu dem Obstsalat und den Frauen im Hintergrund – klasse. Ich freue mich auf die Folgeberichte.

  2. Liebe Maren, ich wünschte, ich könnte in „meinen Ausländern“ jemals so viel Muße zu schönen Gesprächen und Erlebnissen finden. Vermutlich bist du doch die eindeutig bessere Entwicklungshelferin und trägst mehr zur Völkerverständigung bei als jede teure Aktivität vom BMZ, der Weltbank oder sonstwem!

    Und deine Bilder sind wie immer die Wucht. Wenn du nen Bildband rausbringst kauf ich mir nen neuen Wohnzimmertisch und habe dann gleich ein passendes coffee-table-book J

    Alles Liebe

    Anja

    • Liebe Anja, ich danke dir für deine lieben Zeilen, aber du erweist mir eindeutig zu viel der Ehre: Ich muss ja nichts „entwickeln“, wenn ich unterwegs bin, sondern darf einfach schauen und mir Geschichten erzählen lassen. Es gibt, wie du weißt, wenig, was ich lieber täte! Eine Bilder-Auswahl breite ich gern auf dem vorhandenen Wohnzimmertisch aus, wenn wir uns das nächste Mal sehen… Herzliche Grüße!

  3. Liebe Maren, da musste ich nun heute noch einmal zu Deinem Text zurückkehren – so viele Informationen und Geschichten über wunderbare Menschen enthielt er. Für mich ist das eine noch gänzlich unentdeckte Welt und umso mehr freue ich mich, dass Du Deine Erlebnisse mit uns teilst. Freue mich auf mehr!

    • Das ist aber schön, dass du noch einmal zurückgekommen bist, liebe Andrea! Ich freue mich sehr über dein Interesse und deine Zeilen und hoffe, dir schwirrt nicht allzu sehr der Kopf. Für mich selbst ist die Region ja auch noch ganz neu, Kopf und Herz sind voller Eindrücke, und ich finde es wunderbar, hier einige davon teilen zu können.

  4. Hallo Maren,
    eine gute Kollegin von mir war vor vielen Jahren mit ihrer Freundin auf einer ähnlichen Tour. Ab und an erzählt sie etwas davon. Das ist schön. Genauso schön ist Dein Bericht und die Bilder. Vielen Dank, ich warte auch auf mehr. mick

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