Shaun Tan: The Arrival, 2006
Ein Mann verlässt seine Heimat. Er lässt Frau und Tochter zurück, um in einem anderen Land ein neues Leben für sich und seine Familie aufzubauen. Es braucht nicht viele Worte, um die uralte immer neue Geschichte von Verzweiflung und Hoffnung, von Abschied und Aufbruch, von Fremde und Einsamkeit, aber auch von Begegnung und Neuanfang zu skizzieren, und sie ist ja auch schon viele Male erzählt worden. Shaun Tan braucht überhaupt keine Worte, und wie er die Geschichte eines jeden Migranten, eines jeden Flüchtlings, eines jeden Heimatlosen erzählt, das ist absolut einzigartig.
Der australische Autor und Illustrator, selbst Sohn von Einwanderern, hat mit seiner Graphic Novel „The Arrival“ eine Bilderwelt geschaffen, die die Grenzen des Statischen zu sprengen scheint und den Betrachter in eine Art Stummfilm aus schwarz-weißen und sepiafarbenen Zeichnungen zieht. Viele Bilder, zu Serien angeordnet, sind nur wenige Zentimeter groß: Gesichter, die wie Nahaufnahmen wirken, Details in einem Raum, Bild-gewordene Erzählungen von Menschen, denen der namenlose Mann auf seiner Reise begegnet. Andere füllen ganze Seiten oder auch mal zwei in dem großformatigen Buch: die Heimatstadt, durch deren wie ausgestorben wirkende Straßen sich dunkle Drachenschwänze winden, das winzige Auswandererschiff auf dem weiten Meer, die Ankunft in der fremden Stadt, deren Skyline entfernt an New York erinnert, die aber so surreal anders ist als alles, was wir kennen, dass sie ebenso gut auf einem anderen Planeten liegen könnte.
Seit das grandiose Bilderbuch bei mir eingezogen ist, habe ich wohl schon Dutzende Male darin „gelesen“. Immer noch schlüpfe ich jedes Mal in die Rolle des Einwanderers und fühle mich genauso fremd wie er – und so unendlich erleichtert, als andere Menschen, oft selbst Gestrandete, dem Neuankömmling ihre Hilfe anbieten. Mit jedem „Lesen“ entdecke ich Details, die der Aufmerksamkeit bisher entgangen waren, erscheint mir das Buch noch tiefer, noch phantastischer und anrührender. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Wie viele Worte müsste man sagen, um diesem Kunstwerk gerecht zu werden?
Auf jeden Fall noch diese: Es ist ein Buch für wirklich jeden, besonders in Zeiten wie diesen. Für Männer, Frauen und Kinder (ab etwa acht Jahren). Um andere zu beschenken oder um sich selbst ein Geschenk zu machen. Und am besten in der gebundenen englischen Originalausgabe, denn die kostet nur etwa die Häfte der (gebundenen) deutschen „Übersetzung“.
Du machst mich neugierig, liebe Maren, ich schreibe es auf meine Liste. Danke dir und herzliche Grüsse
Ulli
Du wirst die Bilder lieben, Ulli. Viele wirken auf mich so, als seien sie direkt einem Traum entsprungen. Und so kunstvoll… aber schau selbst.
Das Buch ist auch auf meine Wunschliste gewandert. Vielen Dank für die Vorstellung!
Freut mich sehr, dass ich dein Interesse wecken konnte, Ingrid. Und da ich deinem Blog nun schon eine Weile folge, wage ich keck die Behauptung: Das Buch kommt in besonders wertschätzende Hände.
Der letzte Satz macht mir große Freude, aber er ist auch eine Herausforderung, der ich hoffentlich gerecht werde. Herzliche Grüße, Ingrid
Ich frage mich, Maren, ob es uns nicht alle so ein bisschen angeht, die wir doch irgendwann im Leben unsere Lieben und Heimat verlassen haben. Danke auf jeden Fall für diese Präsentation. Lieben Gruss Martina
Ja, ich finde, das Thema geht uns alle an, Martina – ob wir nun selbst neue Heimaten gesucht und gefunden haben oder immer „daheim geblieben“ sind. In der Person von Auswanderern werden Themen, die in jedem Leben eine Rolle spielen (Entscheidungen zu treffen, zu einer Sache Ja zu sagen und damit gleichzeitig zu etwas anderem Nein, Herausforderungen anzunehmen, etwas Neues zu beginnen oder eben auch nicht…) oft besonders deutlich. Das habe ich z.B. bei den Recherchen zu meinem Buch über deutsche Auswanderer in Neuseeland immer wieder erfahren. Natürlich bestehen riesige Unterschiede zwischen Migration und Flucht… Und das Buch? Ist traumschön und weckt in jedem Fall ganz viel Empathie und Verständnis.
Ich danke dir sehr, für deine sehr geschätzte und thought inspiring Meinung, Maren und auch für deinen Buchvorschlag über Neuseeland und seine deutschen Einwanderer.
I c h habe zu danken, Martina – und hätte große Lust, mehr über deine eigenen Erfahrungen mit Heimat und Fremde zu lesen. Vielleicht kann ich dich ja zu einem Blogbeitrag motivieren? – Mein Dank gilt natürlich auch deinem Interesse an meinem Neuseeland-Buch, das ich tatsächlich für sehr lesenswert halte. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, weise ich jedoch darauf hin, dass ich mit dem traumschönen Buch in meinem vorigen Kommentar das hier vorgestellte Werk von Shaun Tan meinte. 😉 Liebe Grüße!
Ich glaube schon, Maren, dass ich dich richtig verstanden habe, bezüglich des von dir vorgestellten Buches.:) Dies schliesst mein Interesse für dein Neuseeland-Buch nicht aus. Der Zufall will es, dass ich daran bin einen Beitrag zur Emigration und Eroberung zu schreiben und auf deinen Hinweis hin, habe ich einige wenige Sätze zu meinen persönlichen Erfahrungen hinzugefügt! Ich wünsche dir weiterhin viel Spass und Interesse an Menschen und Orten. Cari saluti Martina
Ich bin gespannt!
So eine Art Buch ist mir noch nicht untergekommen, aber ich finde sie sehr verlockend … Danke für den Tipp !
Da kann ich nur sagen: Folge der Verlockung!
Da hast Du mir auch wieder ein Buch auf die Wunschliste gelegt – das Thema, aber offenbar auch die Illustrationen, schon der Titel sieht so wundersam gut aus…
„Wundersam gut“ ist eine sehr treffende Beschreibung von Shaun Tans Bildern, Birgit.
Meine Leselust auf dieses Buch ist geweckt, danke für diesen Tipp.
Ich rate zu – es gibt viel zu „lesen“ in den Bildern.
Liebe Maren, seit Tagen hoffe ich, dass ich endlich dazu komme, wieder auf meinen Lieblingsblogs zu stöbern (ich war verreist und hatte seitdem richtig viel zu erledigen) und nun bin ich fast aus Versehen hier gelandet und finde die Besprechung dieses Buches, das ich auch so wunderbar und so berührend finde und bei dem ich (kommt nicht so rasend oft vor) tatsächlich denke, dass die Bilder etwas auszudrücken vermögen, das mit Worten nicht mitteilbar ist … Ich grüße dich sehr herzlich!
Deine zweite Klammer lässt mich schmunzeln, liebe Jutta. Umso mehr freue ich mich über deinen fast versehentlichen Besuch und das geteilte Empfinden zu Shaun Tans sehr spezieller Bilderwelt. Herzliche Grüße!
Und überzeugt.
🙂
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