Süchtig nach Wüste

p1170709Ich kann mich noch gut an meine erste Begegnung mit der Wüste erinnern. Von Santiago de Chile aus waren wir mit einer kleinen Maschine in den Norden des Landes geflogen. Die Landung war derart turbulent, dass ich nur noch heulte und am liebsten sofort wieder weg wollte. Ein paar Tage später heulte ich immer noch, oder besser: schon wieder, aber weg wollte ich nicht mehr. So atemberaubend waren das Tal des Todes und das Tal des Mondes, der Salzsee und die Geysire, so überirdisch schön all die Sonnenauf- und -untergänge, die die Salzkordillere der Atacama und den alles überragenden Licancabur in ein Meer von Gelb bis Violett tauchten, dass ich am liebsten für immer geblieben wäre.

p1170544Das ist nun beinahe zehn Jahre her, und mit jedem Aufenthalt in der Wüste scheint meine Sehnsucht größer zu werden. Die Sehnsucht, in diese Seelenlandschaften einzutauchen, allein auf einer Ebene zu stehen, die ringsum den Horizont berührt, vollkommene Stille zu atmen, mich angenehm unbedeutend und zugleich mit allem verbunden zu fühlen. Für ein paar Tage nur, die Wüste ist ja kein Ort, an dem man sich einrichtet. „Heimat der Seele und dem Körper Exil“, wie der libysche Autor Ibrahim al-Koni so unnachahmlich punktgenau formuliert.

p1170409In diesen Tagen war ich zum ersten Mal in al-Konis Wüste, der Sahara, der mit Abstand größten von allen. Sagenhafte neun Millionen Quadratkilometer Stein, Fels, Kies, Geröll und Sand zwischen dem Atlantik und dem Roten Meer: Allein die Vorstellung kann einen Demut lehren. Wir legten in viereinhalb Tagen siebzig, vielleicht auch achtzig Kilometer zurück – zu Fuß und auf dem Rücken von Dromedaren. Schon lange hatte ich von einer Karawane geträumt, endlich war es so weit.

p1170300In der Nähe von Mhamid, der südlichsten Oase des Draa-Tals im Süden Marokkos, trafen wir die Beduinen, die uns auf unserer Wanderung durch die Wüste begleiten sollten. Wir waren spät dran. Als die Tiere gesattelt und mit Ausrüstung und Proviant für die nächsten Tage beladen waren, war die Sonne hinter dem Horizont verschwunden. Von einer Minute auf die andere wurde es klirrend kalt. Im Schein unserer Stirnlampen tappten wir durch den Sand, auf den Sichelmond zu, der wie eine Barke im Sternenmeer dümpelte. Als wir schließlich zwischen flachen Dünen unser erstes Lager errichteten, fühlte es sich beinahe an wie nach Hause zu kommen.

p1170716Alle Fotos in diesem Beitrag stammen aus der Sahara.

37 Kommentare zu “Süchtig nach Wüste

  1. Liebe Maren, deine unglaublich schönen Bilder atmen genau das aus: Stille, Weite und ja, auch Demut- ganz wunderbar!
    herzliche Abendgrüsse
    Ulli

  2. … vollkommene Stille zu atmen, mich angenehm unbedeutend und zugleich mit allem verbunden zu fühlen… Ja, dieses erhebende Gefühl kenne ich, wenn auch nicht aus der Wüste …

    • Manchmal ist so ein feines Sirren zu hören, manchmal auch nur der eigene Pulsschlag – vorausgesetzt, man ist weit genug von der Gruppe entfernt. Schön, dass du dir Zeit zum Versenken genommen hast, Christiane.

  3. Das glaube ich auch: Dass einen der Anblick der Sahara Demut lehrt.
    Ich freue mich, dass Du Dir Deinen Karawanen-Wunsch erfüllen konntest – und nähre meine Wüstensehnsucht ein Stückchen mit deinen traumhaften Bildern. Danke dafür!

  4. hui, das sind grandiose fotos, liebe maren, und sehr ansprechend, was du schreibst – und doch, ich weiß gar nicht, ob ich solche reise wagen würde, wenn sich je die möglichkeit auftäte. – herzliche grüße, pega

    • Ich dank dir schön für dein Mitgehen, liebe Pega. Du wirst wissen, welche Art Reisen für dich die richtigen sind. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ich mir im Vorfeld gelegentlich Gedanken und Sorgen mache, die sich an Ort und Stelle als ganz unnötig erweisen. Herzliche Grüße in den Süden!

  5. Deine wunderbaren Fotos zeigen deine Liebe, liebe Maren. Da packt auch mich schwere Sehnsucht nach der Wüste. Und doch ist die Wüste nur so schön, weil man weiß, dass es Oasen gibt und dass sie irgendwo aufhört. Wenn in einer Kuhle ein erster Baum erscheint, wenn ein Käfer in einem Loch verschwindet, wenn sich eine Ranke mit bekannten Früchten über den Sand breitet, ist es wie eine Offenbarung und wie eine Versprechen auf Heimkehr ins gelobte Land. Es gibt doch Leben.

    • Weißt du, dass du sprichst wie Antoine de Saint-Exupérys kleiner Prinz, liebe Gerda? „Es macht die Wüste schön“, sagte der, „dass sie irgendwo einen Brunnen birgt.“ Und wenn ich an die Spuren des kleinen schwarzen Käfers denke, der mit seinem Hintern die morgendlichen Nebeltropfen über der Namib auffängt (ich meine die Spuren in der Sahara wiedererkannt zu haben), scheint mir „Offenbarung“ ein sehr angemessenes Wort zu sein. Wer weiß, vielleicht ist die Wüste auch deshalb nichts für die Dauer, weil sie so wenig Ablenkung bietet, dass alles so groß und intensiv erscheint, dass man es gar nicht 365 Tage im Jahr aushalten könnte.
      P.S. Wenn die gezeigten Fotos meine Liebe transportieren, freut mich das sehr.

  6. Was fuer eine Weite und Schoenheit. Und zugleich ein so lebensfeindlicher Ort. Wenn ich nach Kenia fliege, denke ich immer, was fuer eine riesige Ausdehnung die Wueste hat. Unser winziges Deutschland, eine Ameise auf einem Bergruecken…

    • Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, die Lebensfeindlichkeit der Wüste sei Bedingung für ihre Schönheit (genauer: für unser Erleben ihrer Schönheit), aber sie tut ihnen gewiss auch keinen Abbruch. Herzliche Grüße nach Kenia!

      • …ja, das koennte man denken, nicht umsonst ist eine menschenleere Landschaft oft die schoenere, unverletztere, aber andererseits waere es dann doch zu einsam, ganz allein dort sein und bleiben zu sollen…

  7. Pingback: Und immer die Wüste | Von Orten und Menschen

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